Föhn mich nicht zu

Aus den Niederungen deutscher Klassenzimmer

Autoren
Illustrator
Ulrich Scheel
Verlag
Rowohlt Taschenbuch Verlag (rororo)
Anspruch
3 von 5
Humor
4 von 5
Lesespaß
3 von 5
Schreibstil
3 von 5
Spannung
3 von 5

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Zusammenfassung zu “Föhn mich nicht zu”

Stephan Serin ist Referendar. In Berlin. Bevor das Referendariat starten kann, gilt es jedoch, etliche Hürden zu nehmen. Zunächst wird das Einstellungs-Schreiben der Senatsverwaltung erst mal ins Höfliche umgeschrieben – was schon ein Kapitel des Buches beansprucht. Ein weiteres Kapitel verschlingt die amtsärztliche Untersuchung des zukünftigen Referendars, hier geht es, abgesehen von Klumpfüßen, auch darum, wo Urin entsteht. Nach ‚Isch bin Bus‘, einem Kapitel, dass eine erste Kurzeinführung in die Sprachgewohnheiten am Berliner Heisenberg-Gymnasium liefert, dem Junglehrer Stephan Serin zugeordnet ist, wird der Referendar vereidigt. Wobei sich herausstellt, dass das Lehrerseminar ähnlich grauenerregend wie der Schulalltag zu werden verspricht. Überhaupt geht es jetzt über fast vierzig Kapitel rasant zur Sache in Sachen Bildung und Sprachbildung im Besonderen. Gutes weiß der zukünftige Lehrer nicht zu berichten. Die Mehrzahl der Schüler ist nicht beschulbar, die Mehrzahl der Lehrer ist ausgebrannt. Alle wurschteln sich nur noch irgendwie durch und versuchen den Deckel draufzuhalten. Nebensätze sind zur Fremdsprache verkommen und nur in Zehlendorf scheint es noch Schüler zu geben, die es verstehen zu lernen, wie es früher – im Ostteil dieses Landes – einmal üblich war. Referendar Serin hingegen leidet am Stockholm-Syndrom und solidarisiert sich mit den schlechten Schülern, denen er zu gerne gute Noten gibt. Streber hingegen werden abgestraft. So arbeitet man als zukünftiger Lehrer seine eigene Schulkarriere auf. Logischerweise titelt das letzte Kapitel dann auch mit ‚Ich bin gekommen, um euch zu sagen, dass ich gehen muss‘. Was vielleicht eine der besten Ideen des ‚Pädagogen‘ Serin ist.

Zitate

„Auch wenn mich dieses Desinteresse am sprachlichen Vermögen der Jugendlichen anfangs sehr empörte, wurde mangels Erfolg selbst bei mir der Widerstand dagegen mit der Zeit schwächer, denn mein Aufbäumen war ein einsamer und vergeblicher Kampf gegen Windmühlenräder. Irgendwann fand ich mich ebenfalls damit ab, dass sich die Schüler schlechter ausdrückten als sie sollten, indem ich mir einredete, sie würden sich einfach anders ausdrücken. Und folglich gab auch ich mich schließlich mit Ein-Wort-Antworten zufrieden. Bezeichnete ein Schüler Wilhelm den II. als Vollhoden, dann deutete ich das großzügig dahingehend, dass er die kriegstreibende Rolle des letzten deutschen Kaisers sehr wohl begriffen hatte.“

„Als ich selbst die siebte Klasse besucht hatte, wäre ich froh gewesen, vom stärksten Schüler nicht verprügelt zu werden. Ich wurde nur von denen akzeptiert, die in der Klasse nichts zu melden hatten, und das wohl vor allem, weil ich noch weniger zu melden hatte und sie sich in meiner Gesellschaft endlich einmal mächtig fühlen durften. Verglichen damit nahm ich nun im Klassengefüge der 7c einen hervorragenden Platz ein. Um keine Disziplinprobleme zu bekommen, musste ich nur darauf achten, mich mit Murat nicht überwerfen. In anderen Worten: Ich musste mit ihm immer auf einer Linie sein. Wusste ich ihn auf meiner Seite, würde es niemand von seinen Mitschülern wagen, gegen mich zu rebellieren. Darum förderte ich ihn besonders. Er hatte das auch bitter nötig, denn seine Schulleistungen ließen eine Versetzung in die achte Klasse nicht erwarten. Da er die Siebte bereits zum zweiten Mal besuchte, würde ein erneutes Sitzenbleiben für ihn den Abgang vom Gymnasium bedeuten.“

„Tung, der in Geschichte als Einziger auf Eins stand, verstieg sich zu dem absurden Vorwurf: ‚Sie sind wohl von der Stasi!‘ ‚So übel war die Stasi gar nicht.‘ Mit einem Scherz versuchte ich mein Gesicht zu wahren: ‚Die Stasi hat in der DDR einfach nur darüber gewacht, dass niemand über einen anderen Menschen etwas Schlechtes gesagt hat.‘ Niemand verstand den Witz, aber immerhin rückte Adina ihr Gerät heraus.“

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Persönliche Bewertung

Auch das Gymnasium ist nicht mehr das, was es mal war.

3 von 5

Schüler, Gymnasiasten wohlgemerkt, können keine ganzen Sätze mehr bilden und sind de facto nicht mehr beschulbar. Und niemand regt sich darüber auf. Alle machen weiter wie gehabt – ignorant und ausgebrannt. Ein junger Referendar – der Autor des vorliegenden Buches – stolpert frisch von der Uni direkt hinein in die Untiefen des Berliner Schulsystems. Und entwickelt, um durchzuhalten, ein große Portion Zynismus und ein echtes Stockholmsyndrom. So krass wie der der Referendar Serin hat wohl niemand bis jetzt die Dramatik der Bildungsmisere veranschaulicht. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie Stephan Serin sich äußern würde, wenn es ihn an eine der Berliner Gesamtschulen in einem der ‚Problembezirke‘ verschlagen hätte. Leider führt Serin seine zwar drastischen, aber doch sehr glaubhaften Eindrücke und Schilderungen durch kuriose Über-Identifizierungen, Einschübe zur Aufarbeitung seiner Schulkarriere und Übertreibungen teilweise ad absurdum. Eines findet garantiert nicht statt: Pädagogische Reflektion. Aber vielleicht ist die Aufgabe jedweder pädagogisch geprägter Ideale nötig, um den Praxisschock Schule zu überleben. Bis es dann irgendwann doch noch mit dem Schreiben klappt – zumindest für Stephan Serin.

Fazit

Auch das Gymnasium ist nicht mehr das, was es mal war. Erschütternder Blick hinter die Kulissen Berliner Schulrealitäten aus dem Blickwinkel eines eigenwilligen Referendars.

ISBN10
3499626705
ISBN13
9783499626708
Dt. Erstveröffentlichung
2010
Taschenbuchausgabe
255 Seiten