Die Vermessung der Welt
Zusammenfassung zu “Die Vermessung der Welt”
Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts wachsen unabhängig voneinander zwei hochintelligente naturwissenschaftliche Ausnahmetalente auf: Während Carl Friedrich Gauss schon früh die Liebe zu den Zahlen für sich entdeckt und schließlich Professor für Mathematik wird, strebt Freiherr Alexander von Humboldt nach größeren Entdeckungen: Er bereist zusammen mit seinem Reisegefährten Aimé Bonpland und vielen teuren Messinstrumenten die Welt, um sie zu vermessen, Höhen, Längen, Meerestiefen, Luftfeuchtigkeit und mehr penibel zu notieren. Die Reise ist voller Gefahren und Strapazen und nicht immer ist es einfach, einheimische Führer für ihre Bergbesteigungen zu finden, denn Humboldt möchte höher hinaus, als andere Menschen je gewesen sind. In seiner Begeisterung hindern ihn körperliche Anstrengungen und Schmerzen nicht an seinen Plänen, auch die Frauen ihrer Reiseziele interessieren ihn nicht. Bonpland dagegen hat seine Mühe, hat jedoch versprochen, alle Unternehmungen mitzumachen und folgt Humboldt noch auf den höchsten Berg, unter Einsatz seines Lebens und seiner Gesundheit.
Gauss plagt sich währenddessen mit seinen Zeitgenossen, die für seinen Geschmack viel zu langsam und träge denken: Studenten, Bekannte, sogar sein eigener Sohn kommen ihm furchtbar dumm vor. Im Vergleich zu Humboldt führt er ein recht bürgerliches Leben, er heiratet eine intelligente Frau und zeugt mehrere Kinder. Als seine Frau Johanna bei der Geburt des dritten Kindes stirbt, heiratet er ihre Freundin Minna, denn mit seiner Lieblings-Prostituierten kann er sich nicht vermählen. Nebenbei erfährt er, was es bedeutet, sich den Obrigkeiten des Heimatlandes beugen zu müssen, anzuecken und auf das Wohlwollen der Einflussreichen angewiesen zu sein. Als beide schon im fortgeschrittenen Alter sind und mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben, treffen sie aufeinander und es ergibt sich eine interessante Bekanntschaft…
Wichtige Charaktere
- Alexander von Humboldt
- sein Assistent Aimé Bonpland
- Carl Friedrich Gauss
- Gauss‘ erste Frau Johanna
- Gauss‘ zweite Frau Minna
- Gauss‘ Sohn Eugen
- die Prostituierte Nina
Zitate
„Zur angekündigten Nachmittagsstunde verlosch die Sonne. Das Licht wurde fahl, ein Schwarm Vögel flatterte schreiend empor und wehte im Wind davon, die Gegenstände saugten die Helligkeit auf, ein Schatten flog heran, der Sonnenball wurde zu einer dunklen Scheibe. Bonpland, den Kopf verbunden, hielt den Projektionsschirm des künstlichen Horizonts. Humboldt richtete den Sextanten darauf, mit dem anderen Auge schielte er auf das Chronometer. Die Zeit stockte.
Und kam wieder in Gang. Das Licht kehrte zurück: Der Sonnenball strahlte auf, der Schatten löste sich von Hügeln, Erde, Horizont. Vögel schrien, irgendwo feuerte jemand einen Schuß ab. Bonpland ließ den Schirm sinken.
Humboldt fragte, wie es gewesen sei.“
„Gauß stöhnte. Er war von klein auf an die Trägheit der Menschen gewöhnt. Aber seinem eigenen Sohn konnte er sie nicht durchgehen lassen. Dummer Esel, sagte er und ging los. Bei dem Gedanken daran, wieviel noch zu tun war, wurde ihm schwindlig. Deutschland war kein Land der Städte, es war bevölkert von Bauern und ein paar kauzigen Aristokraten, es bestand aus Tausenden Wäldern und Dörfchen. Ihm war, als müßte er sie alle aufsuchen.“
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Persönliche Bewertung
Zwei Biografien: Tiefgründig, philosophisch, satirisch und noch immer aktuell
„Die Vermessung der Welt“ ist zweifellos ein Bestseller, der polarisiert. Während die eine Hälfte der Leserschaft den Lobeshymnen der großen Zeitungen zustimmt, kann die andere Hälfte den Hype nicht verstehen und fühlt sich gelangweilt. Wenn man es mit diesem Roman versuchen möchte, sollte man sich darüber im Klaren sein: Action darf man nicht erwarten und man muss bereit sein, sich auf Kehlmanns Schreibstil, auf die viel verwendete indirekte Rede, auf seinen philosophischen Tiefsinn einzulassen. Das ist nicht jedermanns Sache und wer seichte Unterhaltung oder einen durchgängig spannungsreichen Abenteuerroman sucht, kann von diesem Buch nur gelangweilt und frustriert werden. Auch eine vollkommen akkurate Biografie darf man nicht erwarten, das ist nicht der Ansatz dieses Buches.
Vielmehr geht es um die Charakterstudie zweier Genies und ihrer Probleme in einer Welt, in die sie nicht recht hineinpassen wollen. Daniel Kehlmann schreibt mit seinem historischen Roman (denn das ist er, bei aller negativen Assoziationen, die dieses Genre wecken mag) gleichzeitig eine Sozialstudie des damaligen bürgerlichen Deutschlands (das natürlich noch nicht so hieß). Der Autor portraitiert Humboldt und Gauß mit Ironie, Einfühlungsvermögen und herrlichen Dialogen. Das Mittel der indirekten Dialoge (das vielen Lesern zu anstrengend zu lesen sein mag) ist dabei eine gute Wahl, denn so genau sind die vielen Gespräche natürlich nicht überliefert. Ob die Fakten realitätstreu zusammengetragen wurden, sei dahingestellt, doch eigentlich ist das in diesem Roman nicht so wichtig. Denn genau das ist es: Ein Roman, kein Sachbuch!
Die große Stärke dieses Buches liegt in seinen Einsichten in die gedankliche Welt der beiden Hauptpersonen. Wer dafür einen Sinn hat, den kann „Die Vermessung der Welt“ dazu anregen, eigenen philosophischen Gedanken über die Welt nachzugehen. Gleichzeitig unterhält der ironische Humor des Autors, der intelligent die Geisteshaltung der damaligen Zeit einfängt und Absurditäten aller Art augenzwinkernd vorführt. Humboldt und Gauss sind dabei keineswegs Sympathieträger, viele ihrer Schwierigkeiten mit der Welt und ihren Zeitgenossen sind nachvollziehbar, doch neben ihrer wissenschaftlichen Genialität sind sie menschlich keine Vorbilder. Humboldts Expeditionen schildert Kehlmann spannend und ebenso faszinierend wie erschreckend, es wird nichts beschönigt und dennoch kann man sich dem Zauber des Entdeckens nicht entziehen.
Fazit
Ein Roman, der brillant und tiefsinnig geschrieben ist und der nicht für sich in Anspruch nimmt (oder nehmen kann), eine penibel recherchierte Biografie zu bieten. Stattdessen bekommt man eine ironische und intelligente Betrachtung der damaligen Zeit (des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts) und ein feinfühliges Portrait über das Leben zweier Genies, wie es sich im Detail abgespielt haben könnte.
- ISBN10
- 3498035282
- ISBN13
- 9783498035280
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2005
- Gebundene Ausgabe
- 304 Seiten