Klassenziel
Zusammenfassung zu “Klassenziel”
Jamie und sein älterer Bruder Nick wachsen in einem Elternhaus auf, das irgendwann auseinander bricht. Die Eltern trennen sich, der Vater zieht nach Berlin, wo er einsam und unglücklich ist, während die Mutter den Söhnen ihren neuen Freund Uwe vorstellt. So verschieden die beiden Brüder bisher waren (Jamie als Sonnenschein, als Liebling der Eltern, und Nick als Rebell, als Außenseiter), so unterschiedlich reagieren die beiden auch auf die Trennung: Nick verschließt sich immer mehr, flüchtet sich in seine Computerspiele und zu seinem Freund Marek und lässt seinen Bruder nicht mehr an sich heran. Als Nick herausbekommt, dass Jamie mit seinem Schwarm Billie (die nichts von Nick wissen will) eine Nacht verbracht hat, wird er seinem Bruder gegenüber gewalttätig.
Und dann kommt der Abend, an dem Nick Jamie von seiner Freundin Melody abholt, mit ihm ins Nirgendwo fährt und unheimliche Dinge erzählt. Jamie befürchtet, Nick wolle ihn oder sich selbst umbringen, doch dann schließt ihn sein älterer Bruder in ein stinkendes Dixieklo ein und fährt davon. Als Jamie sich endlich befreien kann und am nächsten Morgen zu Fuß zu Hause ankommt, erwarten ihn seine aufgelöste Mutter und verschiedene Polizeibeamte. Jamie erfährt, dass Nick in der Schule siebzehn Menschen erschossen und weitere schwer verletzt hat, Lehrer und Schüler. Als er sich nicht ergeben wollte und Anstalten machte, auf die Polizei zu schießen, wurde er von einem Polizisten erschossen.
Die nächsten Wochen werden schwer für Jamie und seine Eltern. Die Menschen ihrer Heimatstadt – Nachbarn, Angehörige der Opfer, andere Betroffene – begegnen ihnen mit offenem Hass und Gewaltdrohungen. Seine Mutter beschließt, mit ihrem neuen Freund Uwe nach Stuttgart zu ziehen und Jamie mitzunehmen, doch Jamie möchte viel lieber zu seinem Vater nach Berlin. Als er schließlich an einer neuen Schule anfängt, wird es schwer seine Vergangenheit geheim zu halten und wieder Anschluss zu finden. Zum ersten Mal in seinem Leben fällt es ihm schwer, Freunde zu finden und er wird zu einem Außenseiter, wie es sein Bruder früher war…
Wichtige Charaktere
- Benjamin „Jamie“ van Arcen
- sein Bruder Dominik „Nick“
- seine Eltern
- Kenji Hoshikuro
- Becky und Luna
- Moritz und Toshi
- Melody und Billie
- Ramon und Till
- Kriminaloberkomissar Sebastian Görlitz
- Uwe
Zitate
„Aufschlussreich finde ich auch Beckys Begründung, warum die Freunde nicht so gern in der Mensa essen. ‚Also, erst mal gibt’s da meistens nur irgendwelche Sattmacher mit ganz viel Zusatzstoffen und Geschmacksverstärkern‘, behauptet sie. ‚Und außerdem sind wir da gemobbt worden.‘
‚Hä? Wie denn?‘
‚Na ja, wir haben irgendwie so einen Ruf an der Schule – keine Ahnung. Jedenfalls, wenn wir da zusammen hingehen, heißt es immer: Guck mal, da kommen die Essgestörten.‘
Es gibt überhaupt keinen Grund für so einen bescheuerten Spruch. Luna ist dünn, Becky ist kräftig und Kenji ist klein – na und? Als ob das was mit dem Essverhalten zu tun hätte! Aber natürlich braucht man keine objektiven Belege, wenn man andere fertigmachen will. Da genügt es, wenn einer mal einen dummen Spruch lässt, und alle übrigen Idioten ziehen dann nach.“
„Dabei bin ich eigentlich ziemlich stolz auf mein Rendezvous: Torte essen im Café Kranzler. War natürlich Kenjis Vorschlag. Welcher normale Mensch unter sechzig würde sonst auf so eine Idee kommen? Ich bin aber ganz sicher, dass er ein Event daraus macht, für das ich mich nicht zu schämen brauche. Wahrscheinlich werden wir da mehr Spaß haben als in allen Clubs, Freizeitparks und Szenetreffs zusammen.“
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Persönliche Bewertung
Ein Buch über ein wichtiges Thema, das schockiert und betroffen macht
Warum laufen Jugendliche Amok? Warum haben die Angehörigen nichts davon gemerkt? Hätte man den Amoklauf nicht verhindern können? Und wie gelingt es den Angehörigen danach, wieder ein geregeltes Leben zu führen? In seinem Jugendbuch „Klassenziel“ widmet sich T.A. Wegberg diesen Fragen und zeigt auf, dass ein Amoklauf nicht nur das Leben der Opfer und ihrer Angehörigen zerstört, sondern auch die Angehörigen des Amokläufers vor einem Scherbenhaufen zurücklässt.
Ohne zu moralisieren und ohne konkrete Lösungsansätze (Kann es die überhaupt geben? Kann eine einzelne Person eine solche Katastrophe verhindern?) analysiert Wegberg, wie es zu einem Amoklauf kommen kann und was dieser für Folgen für Geschwister und Eltern des Täters hat. Es liegt an jedem Leser selbst, sich zu überlegen, wie das Blutbad in der Geschichte hätte verhindert werden können, was alles im Leben von Nick schieflief und wer eigentlich die Schuld daran trägt: Der Bruder, der nicht mehr an den späteren Täter herankam, und schließlich zu sehr mit seinem eigenen Leben beschäftigt war? Die Eltern, die auf unkluge Weise ihre Trennung durchzogen und sich zu wenig um ihre Kinder kümmerten? Die Mitschüler, die den späteren Amokläufer ausgrenzten und gedankenlos grausam waren? Die Lehrer, die kein Verständnis für die Situation des späteren Täters hatten? Die Frage lässt sich vielleicht einfach nicht beantworten.
Der Autor lässt seine Leser das Grauen unmittelbar miterleben, indem er die Geschichte durch Jamie als Ich-Erzähler schildert. Authentisch wirkt die Handlung vor allem durch die bewusste Wahl einer Jugendsprache, mit der sich viele Jugendliche identifizieren können. Spannung wird vor allem durch die geschickte Erzählweise aufgebaut, die zwischen Vergangenheit (der Zeit vor dem Amoklauf) und der Gegenwart (der Zeit danach, als Jamie versucht, in Berlin wieder ein normales Leben zu führen) abwechselt. Jamie selbst ist für viele sicherlich ein Sympathieträger, wenn er auch aus kritischer (erwachsener?) Sicht hier und da Klischees bedient. Es mag zur Rolle gehören, die dem Erzähler zugedacht wurde, doch unkommentierte diskriminierende Sprüche, die lustig gemeint sind, aber auf unschöne Weise Geschlechterrollen reproduzieren, hätte man sich vielleicht doch sparen können (Beispiel: Gott hätte die Frauen erschaffen, um die Jungs bei ihrer Bandprobe mit Essen zu versorgen). Schließlich helfen solche, harmlos gemeinten Sätze nicht, aus jugendlichen Lesern eigenständig denkende Menschen zu machen, die Klischees und Sexismen kritisch gegenüber stehen. Davon abgesehen wird Jamies Verwandlung gut charakterisiert: Er wird vom beliebten Mitläufer zu einem Außenseiter, der sich Gedanken über Ausgrenzung und Vorurteile macht und sich sogar zu einem Jungen hingezogen fühlt. Rührend ist der Zusammenhalt zwischen den vier so grundverschiedenen Außenseitern dargestellt, in denen Jamie neue Freunde findet. Der eine oder andere Leser wird nach diesem Buch vielleicht die eigenen Vorurteile überdenken.
Fazit
Ein Buch, das keinen Lesespaß im herkömmlichen Sinn verspricht. Zu grauenvoll ist das Thema. Der Autor erzählt eine Geschichte, die mitreißt, betroffen und nachdenklich macht. Und die, obwohl sie vermutlich nicht vermag etwas zu ändern, doch einen wichtigen Beitrag leistet.
- ISBN10
- 3499216248
- ISBN13
- 9783499216244
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2012
- Taschenbuchausgabe
- 288 Seiten
- Empfohlenes Lesealter
- Ab 13 Jahren