Ein dunkler Wille

Das Schicksal der Brüder Frankenstein

Autoren
Übersetzer
Gerold Anrich
Martina Instinsky-Anrich
Verlag
Beltz und Gelberg
Anspruch
4 von 5
Humor
4 von 5
Lesespaß
5 von 5
Schreibstil
5 von 5
Spannung
5 von 5

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Zusammenfassung zu “Ein dunkler Wille”

Nachdem sein Zwillingsbruder Konrad trotz oder gerade wegen Victors Hilfe starb, trauert die Familie Frankenstein. Victor selbst kann sich mit dem Tod seines Bruders nicht abfinden und sinnt auf eine Möglichkeit, zumindest noch einmal Kontakt zu ihm aufzunehmen. Seit auf den Wunsch seines Vaters jedoch die Dunkle Bibliothek und alle ihre alchemistischen Werke verbrannt wurden, sind seine Möglichkeiten begrenzt. Ein Buch jedoch hielt dem Feuer stand: Ein Buch aus Metall, das ein in Stoff gewickeltes Päckchen und einige Blätter aus einem alten Buch enthält. Mit Hilfe der Anleitungen auf den Papieren und der Metallteile aus dem Päckchen stellt Victor ein Hexenbrett her, mit dem es möglich sein soll, mit den Toten zu sprechen. Bei einem Versuch erhält er auch eine Antwort: Hol mich hier raus. Doch stammt diese Nachricht von Konrad?

Der verzeifelte Ton der Nachricht bestärkt Victor darin, Konrad helfen zu müssen. Auf einem Gemälde ihres Vorfahren Wilhelm Frankenstein finden Victor, Elizabeth und Henry das metallene Buch abgebildet, zusammen mit einem Hinweis darauf, dass eines der Metallteile aus dem Metallbuch ein Schlüssel ist, der in ein ganz besonderes Schlüsselloch passt. Dieser Schlüssel öffnet ihnen eine Geheimkammer in der Decke der Kapelle, wo sie ein Buch, eine skurrile Taschenuhr, eine Pipette, eine Glasflasche und einen weiteren Schlüssel finden. Mit Hilfe der Flüssigkeit in der Flasche reist zuerst Victor und später alle drei gemeinsam in die Geisterwelt, treffen auf Konrad und ein ehemaliges Dienstmädchen der Frankensteins, Analiese. Konrad ist unglücklich und hat Angst vor einem unbekannten Grauen, das unter dem Frankenstein-Schloss der Geisterwelt zu hausen scheint. Victor stellt unterdessen fest, dass die Welt der Geister und vor allem die hier herumfliegenden schwarzen Schmetterlinge ihm ungeahnte Kräfte verleihen. Mit Elizabeths und Henrys Hilfe fertigt er aus Lehm einen Körper für Konrad, um ihn aus der Geisterwelt zurückzuholen…

Wichtige Charaktere

  • Victor Frankenstein
  • sein Zwillingsbruder Konrad
  • ihre Eltern
  • ihre Cousine Elizabeth Lavenza
  • ihr Freund Henry Clerval
  • Wilhelm Frankenstein
  • Analiese
  • die Geister-Schmetterlinge

Zitate

„Die Wolken, die die ganze Woche auf uns gelastet hatten, wurden dünner, und als ich eine Pause machte, um wieder zu Atem zu kommen, war die Sonne durchgebrochen. Ich zog die Jacke aus, schaute über den See und war froh, dass er wieder Farbe hatte. Dann richtete sich mein Blick auf den Berggipfel, wo die Gruft der Frankensteins in den Gletscher gemeißelt war. Darin lag Konrad in seinem eisigen Sarkophag.
Jetzt im Sonnenlicht schien es verrückt, ihn zurückholen zu wollen, so unmöglich, wie die Umdrehung der Erde aufzuhalten. Und wenn wir … wenn wir einfach das Leben seinen Lauf nehmen ließen? Mit Sicherheit war es Spinnerei, was ich im Sinn hatte.
Aber ich konnte meine Gedanken nicht davon abhalten, immer wieder in die Geisterwelt zu schweifen mit ihren schimmernden Farben und Geweben, dem anschwellenden Leben in meinen Adern, meiner geheilten, schmerzfreien Hand. Ich hatte ein Tür aufgemacht, und alle Möglichkeiten waren offengelegt, alle erdenklichen Kräfte.“

„Ich lege meine Hand wieder an die Wand, und plötzlich ist es, als wäre sie dort festgeschweißt, und ich sehe …
Ein abgetrennter Fuß wird in ein langes feuchtes Loch wie ein Grab geworfen. Jemand kniet sich daneben und bindet vorsichtig eine Tierblase auf. Aus der Öffnung krabbelt etwas heraus, dunkler als die Dunkelheit. Zuerst denke ich, es ist ein Käfer, doch die Form ist eher flüssig, was noch beunruhigender ist. Der Mensch tritt zurück, als der Schatten auf den abgetrennten Fuß springt und sich hungrig in das verfaulte Fleisch wühlt …“

Alle Bände der Reihe

1. Düsteres Verlangen – Die wahre Geschichte des jungen Victor Frankenstein
2. Ein dunkler Wille – Das Schicksal der Brüder Frankenstein

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Persönliche Bewertung

Düster, geheimnisvoll und fabelhaft geschrieben

5 von 5

Vor allem eines beweist „Ein dunkler Wille“ wieder einmal: Kenneth Oppel schreibt und be-schreibt einfach großartig. Er erschafft eine düstere Atmosphäre, die in perfekter Tradition von Mary Shelleys „Frankenstein“ steht. Es gelingt dem Autor perfekt (und für die Altersgruppe angemessen), in einer leicht und flüssig lesbaren aber dennoch anspruchsvollen Sprache zu erzählen.

Die Geschichte wird aus Victors Sicht erzählt. Die Wahl des Ich-Erzählers sorgt für eine gewisse Identifizierung des Lesers mit seiner Figur. Victor ist ob seiner Zwiespältigkeit, seiner „dunklen Seite“, ein interessanter Charakter. Dass er in einem gewissen Maße sein eigenes Handeln reflektiert, trägt dazu bei, dass er trotz seiner mitunter moralisch fragwürdigen Gedanken und Handlungen eine Art Sympathieträger bleibt. Seine Faszination für die Geisterwelt, für die Alchemie und das Spiel mit Leben und Tod überträgt sich auf die Leser. Er symbolisiert die Besessenheit, die Selbstüberschätzung und im Verlauf der Handlung auch die Abhängigkeit und die Gier nach Macht. Henry als sein Gegenpart stellt den klugen und besonnenen Charakter dar, der darunter leidet, im Schatten Victors zu stehen, und in diesem Buch eine interessante Entwicklung durchlebt. Die dritte Hauptfigur, Elizabeth, bringt einen Hauch düsterer Romantik in die Geschichte, die bisweilen fast nekromantische Züge annimmt. Elizabeth, von allen drei männlichen Hauptfiguren (Konrad eingeschlossen) verehrt und umschwärmt, verkörpert die Tugend, der jedoch unterdrückte Gelüste gegenüberstehen. Neben den Kulissen und Umständen (Alchemie, geheime Kammern und Bibliotheken, gefährliche Elixiere, Geisteranrufung sowie die Geisterwelt als ungewöhnliche und düstere Kulisse) ist es vor allem das Zusammenspiel dieser drei so unterschiedlichen Charaktere, das die Geschichte so packend macht.

Anspielungen auf Mary Shelleys „Frankenstein“ sind bei einem Buch, das für sich in Anspruch nimmt, dessen Vorgeschichte zu erzählen, kaum verwunderlich. So findet der Kenner verschiedene Hinweise wie beispielsweise einen Traum Victors, in dem er sich in einer Schneewüste wiederfindet und das von ihm erschaffene Wesen (seinen Bruder) verfolgt, um es zurückzuholen. Auch die Analogie mit dem Golem drängt sich geradezu auf: Es wird ein lebendiges Wesen aus Lehm erschaffen, das sich jedoch als unberechenbar herausstellt.

Um „Ein dunkler Wille“ zu lesen, muss man den Vorgänger nicht unbedingt kennen, denn die wichtigsten Punkte werden in vereinzelten Rückblenden wiederholt, es bietet sich jedoch an, um die Zusammenhänge zu verstehen und die Hauptfiguren und ihre Handlungen besser einschätzen zu können. Es ist denkbar, dass diesem Band ein dritter folgt, doch könnte die Vorgeschichte mit diesem Buch genauso gut abgeschlossen sein. In jedem Fall bleibt zu hoffen, dass Kenneth Oppel seine Leser mit weiteren, ähnlich unheimlich-mitreißenden Jugendromanen erfreuen wird.

Fazit

Kenneth Oppel ist ein brillanter Jugendbuch-Autor, der es versteht, eine einmalig düstere Atmosphäre zu erzeugen. „Ein dunkler Wille“ liest sich ebenso fesselnd wie sein Vorgänger und greift perfekt die Stimmung und Charaktere auf, die Mary Shelley mit „Frankenstein“ vor knapp 200 Jahren erschuf.

Originaltitel
Such Wicked Intent. The Apprenticeship of Victor Frankenstein II.
ISBN10
3407811330
ISBN13
9783407811332
Dt. Erstveröffentlichung
2013
Gebundene Ausgabe
384 Seiten
Empfohlenes Lesealter
Ab 12 Jahren