Kriegswinter
Zusammenfassung zu “Kriegswinter”
Der 15-jährige Michiel lebt in einem kleinen Dorf im nordöstlichen Teil der Niederlande. Es ist 1944 und der Zweite Weltkrieg dauert immer noch an. Zwar sind die südlichen Niederlande bereits befreit, nicht jedoch die ländliche Gegend, in der Michiel wohnt. Sein Vater ist Bürgermeister von de Vlank, und so versammeln sich jeden Abend zahlreiche „Gäste“ im Haus der Familie. Denn viele Niederländer aus den großen Städten im Westen des Landes sind im Winter zu Fuß unterwegs – teilweise über 100 Kilometer, Züge fahren nicht mehr – um etwas Essbares für sich und ihre Familien zu besorgen. Da die deutschen Besatzer ab 20 Uhr eine Ausgangssperre verhängt haben, die bei Missachtung und Entdeckung Verhaftung und Tod bedeuten kann, suchen die Menschen Schutz in den Häusern.
Michiel, den seine Eltern von der Schule abgemeldet haben, da der weite Weg dorthin zu gefährlich geworden ist, verbringt seine Tage damit, bei den Bauern zu helfen oder kleinere Reparaturen der Vorbeiziehenden zu erledigen. Im Gegenzug erhält er von den Bauern Lebensmittel, von den Vorbeiziehenden Geld und große Dankbarkeit. Als eines Tages der Nachbarsjunge Dirk auf Michiel zukommt und ihm einen geheimen Brief sowie den geplanten Überfall auf die Verteilungsstelle für Essensmarken anvertraut, ändert sich schlagartig sein Leben. Der Überfall geht schief, Dirk und die anderen werden verraten. Michiel muss nun den Brief an Bertus van Gelder überbringen. Aber auch dies geht schief. Nicht nur dass es auf dem Weg mehrere Zwischenfälle gibt und er so erst am nächsten Tag die Briefzustellung wieder aufnehmen kann, Bertus wurde am Vortag von den Nationalsosialisten mitgenommen!
Michiel muss eine Entscheidung treffen, er öffnet den Brief, liest seinen Inhalt und wird dadurch noch mehr in die Aktivitäten des Widerstandes hineingezogen. Dirk hatte nämlich im Dagdaler Wald einen abgestürzten und verletzten britischen Piloten gefunden und ihn in einem von ihm selbst angelegten Versteck versorgt und vor den Deutschen verborgen. Nun, da Dirk und Bertus beide festgehalten werden, liegt es an Michiel, dafür zu sorgen, dass der Pilot nicht verhungert und weiter medizinisch betreut wird. Mit seinen Sorgen alleingelassen, muss er genau überlegen, wem er vertrauen kann und wem nicht und weiht schließlich seine Schwester Erica ein. Wird es den beiden gelingen „Jack“ weiterhin zu verbergen, was wird aus Dirk, wer ist der Verräter und was geschieht darüberhinaus? Ereignisreiche Monate stehen Michiel und dem Dorf bevor…
Wichtige Charaktere
- Michiel van Beusenkamp
- seine Schwester Erica
- sein Bruder Jochem
- Michiels Mutter und Vater
- Dirk
- Jack
- Ben van Hierden bzw. „Onkel Ben“
- Schafter
Zitate
„Michiel las gern. Tagsüber wäre es hell genug dafür, aber da hatte er keine Zeit. Und am Abend, wenn er Zeit hatte, haperte es mit dem Licht. Im Bücherschrank seines Vaters hatte er achtzehn vergilbte Bücher von Jules Verne entdeckt, die er unbedingt lesen wollte. Am frühen Abend ging das ein paar Meter von der Lampe entfernt, später konnte er die Buchstaben nur noch erkennen, wenn er sich an den Tisch setzte und das Buch direkt vor die Flamme schob. Und der Tisch war in aller Regel voll besetzt, vor allem wenn Gäste im Haus waren.“
„Um Punkt halb zwei war Michiel an der Remise des herrschaftlichen Anwesens an der Ijssel. Der Tilbury stand parat, und der schwarze Cäsar hieb bereits ungeduldig mit dem Vorderhuf Funken aus dem Pflaster des Hofs.“
Links
Trailer zum Film
Dieses Buch wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Urachhaus Verlag über Blogg dein Buch.
Persönliche Bewertung
Ein Sympathieträger, ein Verräter und der 2. Weltkrieg in einem niederländischen Dorf
Jan Terlouws Buch wurde vor 41 Jahren in den Niederlanden erstveröffentlicht. Es ist dort ein Klassiker und wurde 2006 für das Fersehen und 2008 für das Kino verfilmt. Nun können endlich auch deutsche Leser die Geschichte des 15-jährigen Michiel lesen, die auf eigenen Kriegserlebnissen des Autors basiert. Da dem eigentlichen Beginn des Buches eine Szene ums nächtliche Milchholen vorangestellt wird, findet man aufgrund des ansprechenden Schreibstils sofort einen Zugang zur Geschichte. Zwar ist die Frage um den Verräter für distanziert lesende Leser frühzeitig so gut wie geklärt (die Ablenkung auf den Hauptverdächtigen ist sehr offensichtlich), Leser, die sich stark mit dem Hauptcharakter des Buches identifizieren und mit seinen Augen wahrnehmen, werden aber wohl bis zum Ende rätseln. Die Geschichte um den Verräter ist ein elementarer Bestandteil des Buches, es besteht jedoch aus wesentlich mehr Episoden, die den „Kriegwinter“ der damaligen Zeit in den noch besetzten Niederlanden darstellen.
Das Buch legt seinen Schwerpunkt auf das schnelle Erwachsenwerden in Zeiten des Krieges anhand des 15-jährigen Protagonisten. Man erlebt seine Ängste, dass auf ihn zu Hause die deutschen Soldaten warten, den Umgang und die Reaktionen mit der Ermordung seines Vaters, die Wut auf die Deutschen, die ihm Kraft und Entschlossenheit gibt für seine Aktionen wie die Fahrt mit der Pferdekutsche, die Verpflegung Jacks und die Überstellung des Verräters. Michiels Verantwortungsbewußtsein ist beeindruckend, bedenkt man die historische Situation vor Ort. Des weiteren spielen Verrat und Vertrauen eine wichtige Rolle in der Konzeption der Geschichte. Am Beispiel des vermeintlichen Verräters erkennt man, wie schnell man andere vorverurteilt und ihnen Unrecht tut. Bei der Verstrickung der Einzelschicksale, die miteinander verflochten sind bzw. werden, bringt Terlouw die ganze Tragik zur Geltung, die eine einzelne Tat nach sich ziehen kann.
Der auktoriale Erzähler erzählt nicht nur von Michiel, sondern lässt die Leser auch an den Gedanken der Mutter oder den Vorkommnissen im Haus einer Baronin teilhaben. In diesem Buch werden Themen wie die Judenverfolgung, Deportationen und die Ideologie Hitlers nicht schwerpunktmäßig erzählt, sondern in Episoden und kurzen Ausführungen in die Geschichte integriert. Die Brutalität der Besatzer, die gerade gegen Ende des Krieges ihren Höhepunkt erreichte, wird anschaulich bei Dirks Schilderungen seines Verhörs oder den Salven der Exekutionskommandos vermittelt. Ein Glossar am Ende des Buches erklärt relevante Begriffe der damaligen Zeit und eine Schlussbetrachtung geht auf die Situation in den Niederlanden ein. Wenig bekannt dürfte sein, dass es dort im Vergleich zu anderen Ländern besonders einfach war, Juden zu deportieren. 60.000 freiwilligen „Helfern“ und Kollaborateuren standen lediglich 25.000 Widerstandskämpfer gegenüber. Das Ende der Geschichte und das Ende des Buches mit der Auflistung der weltweiten Kriege seit dem 2. Weltkrieg ist ein gelungenes Plädoyer gegen den Krieg.
Erfreulich sind darüberhinaus Bemerkungen wie die von Michiels Mutter über die zivilen Opfer in Deutschland durch die Luftangriffe der Aliierten und ihre Verwunderung über das Ausbleiben von Rachegelüsten. Auch die Episode, bei der ein deutscher Soldat unter Einsatz seines eigenen Lebens Michiels kleinen Bruder vom Hausdach rettet, tragen zu einer differenzierten Sichtweise und gegen Schwarz-Weiss Schemata bei. Alleine ein besseres Korrektorat hätte man sich bei diesem Buch gewünscht, zwischen 5 und 10 Fehler bis zur letzten Seite des Buchs sind eindeutig zu viel und gehören in einer zweiten Auflage ausgemerzt. Dafür musste beim Bewertungskriterium „Lesespaß“ ein Punkt abgezogen werden.
Fazit
Jan Terlouw erzählt in einem ansprechenden, leicht zu lesenden Schreibstil, eine lesenswerte Geschichte um Vertrauen, Mut, Verzweiflung und Verlust. Auch wenn das Rätsel um den Verräter für ältere Leser früh erahnbar ist, die Geschichte weiß dennoch zu überzeugen. Geschichtslehrer sollten diese Chance unbedingt nutzen und dieses Buch im Unterricht behandeln, nicht nur in der deutsch-niederländischen Grenzregion!
- Originaltitel
- Oorlogswinter
- ISBN10
- 3825178250
- ISBN13
- 9783825178253
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2012
- Gebundene Ausgabe
- 204 Seiten
- Empfohlenes Lesealter
- Ab 12 Jahren