Wie wir das Universum reparierten
Zusammenfassung zu “Wie wir das Universum reparierten”
Melines Eltern kommen bei einem Zugunglück ums Leben. Ihr einziger noch lebender Angehöriger ist ihr schrulliger Onkel Marten, der allein auf einer kleinen Insel lebt. Das Jugendamt bestimmt ihn zum Vormund von Meline und ihrer Cousine Jocelyn, deren Eltern ebenfalls bei dem Unfall ums Leben kamen. Das Leben auf der Insel ist ein vollkommener Gegensatz zum bisherigen Leben der beiden Mädchen: Es gibt keinen Kontakt zur Außenwelt, Lebensmittel werden per Hubschrauber geliefert und abgeworfen. Der einzige Mensch, den Meline und Jocelyn sehen, ist ihr Onkel, der Wissenschaftler, der mit der aufgezwungenen Gesellschaft überfordert ist und sich kaum um seine Nichten kümmert.
So sind beide Mädchen in ihrer Trauer allein. Ihren Verlust verarbeiten sie auf unterschiedliche Weise, doch der gemeinsame Trauerfall führt nicht zu einer Annäherung der beiden Cousinen, nicht zuletzt weil Jocelyn im Gegensatz zu Meline Augenzeugin des grausamen Zugunglücks war und seit dem Unfall traumatisiert ist. Schließlich stellt Onkel Marten Mrs. Mendelbaum ein, als Ansprechpartnerin für die Kinder und als Haushaltshilfe und Köchin. Als diese schließlich mit der Arbeit überfordert ist, überredet sie Onkel Marten dazu, zusätzlich einen Butler einzustellen. Mit Humdinger leben nun fünf Personen auf der Insel, doch von einem Familienleben ist der Haushalt weit entfernt. Als Meline und Jocelyn bei einem Ausflug über die Insel Flugzeugteile finden, flüchtet Meline sich in den Plan, ein Flugzeug zu bauen, um von der Insel wegzufliegen. Jocelyn hilft ihr, eher widerwillig, und nach und nach kommen sie bei ihrer Suche nach weiteren Teilen dem Geheimnis der Insel auf die Spur…
Wichtige Charaktere
- die Cousinen Meline und Jocelyn
- ihr Onkel Marten Knockers
- Mrs. Mendelbaum
- Butler Humdinger
- Hubschrauberpilot Sam
- Sophie Babilinska
- Dr. Houseman
Zitate
Meline
„Selbst wenn man bedenkt, dass wir beiden noch unter Schock standen, konnte ihre kalte, gefasste, förmliche Art nicht nur am Tod unserer Eltern liegen. So war sie nicht erst seit gestern, darin hatte sie Übung. Es kam zu leicht und zu natürlich rüber. Und in solchen Momenten war das ja auch ganz praktisch, fand ich. Als würde man seine Gefühle in eine Kühltruhe legen, neben den abgetrennten Kopf, der allerdings schon vorher drin gewesen war, wie man hartnäckig beteuern würde.“
Marten Knockers
„Über derartige Probleme müsste ich mir dann Gedanken machen. Über Hosen – und nicht über neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Endlose Stunden würde ich damit zubringen, mir Sorgen über die richtige Hose zu machen. Daher beschloss ich, lieber einen Haufen Geld zu verdienen und anschließend nur noch das zu tun, worauf ich Lust hatte. Mir war natürlich bewusst, wie enttäuscht meine Familie über meine Entscheidung war, zumindest der noch verbliebene Teil, nachdem es erst so ausgesehen hatte, als würde aus mir doch noch ein normaler, angesehener Bürger werden. Aber dann kam alles anders und ich wurde doch wieder zum peinlichen Sonderling.“
Marten Knockers
„Wenn die Leute doch nur aufhören würden, so ein Theater zu machen. Wenn sie die Dinge, die ihnen durch einen glücklichen Zufall passierten, einfach genießen würden, statt sich darüber aufzuregen, dass sie nicht so passierten, wie sie eigentlich hätten passieren sollen, wären sie bestimmt weitaus zufriedener mit ihrem Leben.“
Links
Persönliche Bewertung
Eine außergewöhnliche tiefgründige Geschichte über das Trauern und die Hoffnung
Bücher über den Tod und das Trauern gibt es zahlreich. Polly Horvaths Geschichte überzeugt mit einem besonderen Ansatz: Die verschiedenen Erzählperspektiven ermöglichen Einblicke in unterschiedliche Persönlichkeiten und ihren Umgang mit dem Verlust der nahen Familienangehörigen. Interessant und sicherlich für viele Leser gewöhnungsbedürftig ist die Tatsache, dass die Trauer der Charaktere in der Geschichte nicht übermäßig gefühlvoll dargestellt wird, die Autorin liefert überspitzt formuliert das Gegenteil einer Tränendrüsen-Geschichte. Und genau das ist die große Stärke des Buches: Anstatt plump den Schmerz der verschiedenen Figuren darzustellen ist „Wie wir das Universum reparierten“ eine tiefgründige anspruchsvolle Geschichte über Freundschaft, über Hoffnung, Familie, Konventionen, Mut – und auch über den Verlust und die Risiken der Liebe. Polly Horvath gelingt das Kunststück, eine so traurige Grundvoraussetzung wie den gewaltsamen Tod der Eltern zu einer gleichzeitig traurigen, aber auch sehr humorvollen Geschichte zu verarbeiten.
Dieses Buch lebt von seinen ungewöhnlichen Charakteren und den Innensichten seiner Figuren, denn Action bietet die langsame und nachdenkliche Erzählweise der Autorin nicht. Und die Hauptfiguren könnten kaum gegensätzlicher sein: Das ist zum einen Onkel Marten, für den Geld keine Rolle spielt, der sozial inkompetent ist und dessen Einsiedlerleben durch die unerwünschte Gesellschaft seiner Nichten ein jähes Ende findet. Er muss mit der Anwesenheit anderer Menschen zurechtkommt und beweist ein ums andere Mal, wie wenig Einfühlungsvermögen er besitzt – seine Ausrutscher und Missverständnisse pendeln hierbei stetig zwischen tragischer Komik und liebenswerter harmloser Schrulligkeit. Onkel Marten trägt viel zum Anspruch der Geschichte bei, wenn er seinen teilweise zynischen Blick auf die Gesellschaft, seine Weisheiten, und seine scharfsinnigen Beobachtungen der Absurditäten des menschlichen Zusammenlebens mit dem Leser teilt. Ihm gegenüber steht zum einen die praktische bodenständige Meline aus sparsamer Familie und zum anderen die etwas arrogante Jocelyn, die dazu erzogen wurde, auf andere herabzusehen. Die Haushälterin und der Butler ergänzen die seltsam zusammengewürfelten Bewohner der kleinen Insel.
Bei allen Unterschieden haben alle Charaktere doch eines gemeinsam: Alle haben sie ihre Familie verloren. Die Mädchen ihre Eltern, Mrs. Mendelbaum ihre Familie, als diese von den Nationalsozialisten ermordet wurde, und Onkel Marten seine Geschwister. Besonders deutlich wird hierbei, dass der Blick von außen selten Aufschluss darüber gibt, was tatsächlich in einem Menschen vor sich geht. Ohne diese Einblicke in die Gedanken und Gefühle der Charaktere könnte man Jocelyn für gefühlskalt, Melines scheinbar mangelnde Trauer für unauthentisch halten. Allein ihre Perspektiven, zwischen denen der Erzähler wechselt, zeigen, wie es tatsächlich in ihnen aussieht. Passend zu den verschiedenen Charakteren hat Polly Horvath ihren Schreibstil jeweils dem Erzähler angepasst. (Im Fall von Mrs. Mendelbaum muss hier angemerkt werden, dass die Erklärung/Übersetzung der jiddischen Begriffe jeweils auf der selben Seite praktischer gewesen wäre als das Glossar am Ende des Buches.) Die übertriebenen Weihnachtsvorbereitungen, mit denen Onkel Marten krampfhaft ein harmonisches Weihnachtsfest erzwingen möchte, Mrs. Mendelbaums Abhängigkeit von einem vermeintlich harmlosen Hausmittel oder Jocelyns Arroganz bekommen so eine Bedeutung.
Das Buch ist in seiner Handlung geschickt konstruiert und endet mit einer überraschenden Auflösung, die den Leser mit verschiedenen Gedanken und Erkenntnissen zurück lässt: Wenn ein Mensch stirbt, verschwindet auch der Teil in einem, der mit diesem Menschen verknüpft war, und uneingeschränkte Liebe ist immer ein Risiko, das es sich jedoch einzugehen lohnt.
Fazit
Polly Horvaths Geschichte um zwei trauernde Mädchen und einen schrulligen Onkel ist so bewegend wie unterhaltsam. Leser, die Action, Abenteuer und schnelle Handlungsverläufe bevorzugen, sind mit diesem Buch nicht gut aufgehoben, wer jedoch intelligente Charakterstudien schätzt, findet in „Wie wir das Universum reparierten“ einen anspruchsvollen einzigartigen Buchschatz.
- Originaltitel
- The Corpse of the Bare-Boned Plane
- ISBN10
- 3845801999
- ISBN13
- 9783845801995
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2014
- Gebundene Ausgabe
- 304 Seiten
- Empfohlenes Lesealter
- Ab 12 Jahren