Ungeschoren

Autoren
Übersetzer
Wolfgang Butt
Verlag
Piper Verlag

Zusammenfassung zu “Ungeschoren”

„Ungeschoren“ ist der sechste Band über das Stockholmer A–Team, das einen Abschied zu feiern hat. Jan Olov Hultin, der langjährige Chef von Schwedens bester Sonderermittlertruppe geht in den Ruhestand. Seine Nachfolgerin wird Kerstin Holm. Die schon am ersten Tag als Chefin ihren Sohn Anders mit in das Büro bringt, da sie keine Ferienbetreuung gefunden hat. Eigentlich steht kein großer Fall ins Haus, aber auf verschiedenen Wegen übernimmt das A-Team vier unzusammenhängende Todesfälle. Einer Leiche wurde ein Stück von der Hirnschale abgesägt. Ein Fernsehmoderator wurde scheinbar von einem fanatischen Fernsehkritiker ermordet. Eine polnische Krankenschwester, die in Schweden arbeitet, wurde mit einer Axt erschlagen. Ein junger Kurde, der kurz davor stand, seine Schwester aus „Ehrengründen“ zu erstechen, wird selber erstochen aufgefunden. Zudem tauchen noch eigentümliche Faxe auf und ein anonymer Anrufer beschuldigt den sich gerade im Erziehungsurlaub befindenden Jorge Chavez früher in einer Drogenhölle aktiv dem Konsum gefrönt zu haben. Zueinander geraten die vier Leichen erst, als in den Kniekehlen der Opfer eine winzige Tätowierung entdeckt wird, die zusammengesetzt nur ein sinniges Wort ergibt „P U C K“. Puck, wie der kleine Kobold aus Shakespeares Sommernachtstraum. Und eigentümlicherweise gibt es für jeden dieser Morde einen eindeutigen Verdächtigen. Was aber nicht sein kann, wenn es nur einen Täter gibt. Sitzen vier unschuldige Menschen in Haft? Und wenn es nur einen Täter gibt: Was ist sein Motiv? Wieso tötet er vier Menschen? Und vor allem: Wieso tötet er sie genauso, wie es die potenziell der Tat verdächtigen Menschen auch getan hätten? Kann er Gedanken lesen? Das A-Team versucht, die Lösung zu finden. Und verliert dabei auch das eigene Leben nicht ganz aus den Augen: Chavez und Sara müssen sich um die kleine Isabell kümmern. Die „Neue“, die Lena heißt, und mit Sara zusammenarbeitet, macht sich gut als Babysitter und hat auch gerade einen neuen Liebhaber. Selbst Kerstin Holm legt sich einen Liebhaber zu. Und Paul Hjelm, der gerade geschieden wurde und nun einsam und allein in seiner neuen dunklen Wohnung auf Koffern sitzt, beginnt eine aussichtsreiche Affäre. Und sie alle zusammen verstehen nicht, was da eigentlich in der Mitsommerwoche passiert. Und selbst als sie es verstehen, wissen sie nicht, was sie von einem Mörder halten sollen, der wahrscheinlich mit seinen Taten Leben gerettet hat.

Zitate

„Es war einfach sagenhaft, was da vierundzwanzig Stunden lang ins Bewusstsein der Menschen geflimmert wurde. Konstant verdummende Werbung mit kurzen Unterbrechungen für noch mehr verdummende Programme. Soaps, Dokusoaps, Spiel- und Quizprogramme, Sexsofas mit Pseudopromis, sogenannte Dokumentationen bar jeder Recherche, immer dürftigere Sportproduktionen. Sogenannte Formate, die wahllos für Fantasiesummen aus allen Ländern gekauft wurden. Die Werbung erschien plötzlich als ein versöhnlicher Zug des Mediums. Wie kam es, dass die gesamte westliche Welt in nur wenigen Jahren jedes grundlegende Gefühl für Qualität verloren hatte? Plötzlich war ihm klar – wie in einer religiösen Offenbarung -, dass die Geschichte diese Epoche als verloren einstufen würde. Eine tote Zeit. In der Generation auf Generation mental eingeschläfert wurde – mit Billigung der Regierungen. In der Kinder nie die Chance bekamen, erwachsen zu werden, und Erwachsene zu Kindern degradiert wurden – allerdings zu Kindern ohne jede Kreativität und Intelligenz. Ohne all das, was Kindheit eigentlich bedeutet.“

„Nein, daran dachte er überhaupt nicht. Er dachte: Reiche Länder ziehen aus armen Ländern Pflegepersonal ab. Es ist ein neuer Trend. Der simple Grund dafür ist, dass die reichen Länder sich bezüglich des Pflegebedarf gründlich verrechnet habe. Oder ganz einfach überhaupt nicht gerechnet haben – weil es sich um ein Thema jenseits der Mandatsperiode der gewählten Volksvertreter handelt.“

„Israel und Palästina bewiesen, dass Menschen nicht mehr miteinander reden konnten, sondern sich in kindischer Grausamkeit übertrafen. Und alle Formen von Kultur waren in nackten Konsum verwandelt. Jahr für Jahr wurde mit immer größerer Präzision jede denkbare Nuance aus dem menschlichen Bewusstsein getilgt. Die Menschen wurden zielbewusst immer viereckiger gemacht. So ließen sich leichter stapeln. Handlichere Bausteine. Darauf wartend, verwendet zu werden. In dieser Lage hatte Paul Hjelms Lebenshunger sich gewaltig gesteigert. Das Leben entzog sich ihm. Alle eitlen Versuche das Leben zu berreichern, wurden unmittelbar vom allgegenwärtigen Schimmel der Trivialität und des Konsums überzogen. Hundert Prozent Luftfeuchtigkeit. Ein Ausweg war die Sexualität. Sein Sexualtrieb steigerte sich erheblich. Er war die Form, in der sein Lebenshunger sich manifestierte – neben Literatur, Kunst, Musik, Essen und Trinken.“

„Marek Wojcik betrachtete seinen unschuldsvollen Kollegen. Dass Welten so unterschiedlich sein können. Leicht zögernd sagte er: ‚Es ist ganz gar nicht schwer zu verstehen. Alle Werte sind doch bereits auf den Kopf gestellt. Die Welt ist vollkommen verrückt. Was sagt es über den Wert unseres Lebens aus, wenn diejenigen, die es retten sollen, sich mit einem Taschengeld abfinden müssen? Eine so wichtige und schwere und anstrengende Arbeit für einen so lächerlich niedrigen Lohn, während der kleinste Handlanger privater Firmen das Doppelte verdient. Wir bei der Polizei sind in einer ähnlichen Situation. Für einen Polizisten ist es nicht schwer zu verstehen, dass man Skrupel abbaut, wenn man durch einen Telefonanruf mehr verdient als mit einem ganzen Monat harter Arbeit. Eine internationle Untersuchung hat gezeigt, dass die korrupteste Berufsgruppe in Polen die Ärzte sind, dicht gefolgt von Verkehrspolizisten.’“

Weitere Arne Dahl Krimis („Das A-Team“ Bücher)

Misterioso
Böses Blut
Falsche Opfer
Tiefer Schmerz
Rosenrot
Totenmesse

Persönliche Bewertung

Weniger ein gelungener Krimi, eher eine mysteriös-spannend daherkommende anklagende Beschreibung der Probleme dieser Welt

4 von 5

Mysteriös und anklagend – sind die ersten beschreibenden Worte, die der Rezensentin bei diesem Epos, zu dem Arne Dahls Werk geronnen ist, einfallen. Es wird wieder einmal gewaltig aufgetischt, von all dem, woran diese Welt so krankt. Die Reise geht bis nach Polen, wo Krankenschwestern für Geld töten. Geld, das sie von Leichenbestattern bekommen. Besonders hart geht Dahl mit dem Schund-Fernsehen ins Gericht – sicher berechtigterweise. Aber auch brutale „häusliche Gewalt“ und Migrationsgeschichten beziehungsweise „Ehrenmorde“ kommen vor – es kommt also wirklich ganz dick. Die Anklagen sind hervorragend formuliert, die Milieustudien – vor allem die des polnischen Gesundheitssystems und die des schwedischen Fernsehens – sicher genauestens recherchiert, aber all das in einem in sich geschlossenen Krimi zu verarbeiten, gelingt dem Autor nicht wirklich. Da wird es dann nämlich einfach nur noch mittsommermäßig mysteriös. Das fängt schon mit dem Mitsommermythos der sieben Blumen an, geht weiter über ein Spinnennetz, das Engelsflügeln gleicht, führt hin zu dem am Kinderwagen Schlagzeug spielenden Chavez, klammert die Geschichten eines homosexuellen, misshandelten schwedischen Polizisten mit ein und erspart dem Leser auch nicht Kerstin Holms sexuellen Fantasien und ihrer Begeisterung für Fußballübertragungen im Fernsehen. Bei so viel Handlungsfäden ist es nicht verwunderlich, dass selbst den Superermitteln vom A-Team am Ende schleierhaft ist, wie die Taten ausgeführt wurden – aber dafür ist ja Mitsommer! Die Bemerkung im Klappentext, dass dieser Krimi die Grenzen des Genres sprengt, ist ernst zu nehmen. Arne Dahl klagt an und versucht zu zeigen, wie Menschen mit all dem Üblen, das sich auf dieser Welt so findet, umgehen können. Bei all der Ernsthaftigkeit, die der Autor dabei an den Tag legt, kommt nicht unbedingt ein guter Krimi raus.

Fazit

Weniger ein gelungener Krimi, eher eine mysteriös-spannend daherkommende anklagende Beschreibung der Probleme dieser Welt, wie der Meister des Krimi-Epos sie sieht – und dabei sicher in vielem Recht hat.

Originaltitel
En Midsommarnattsdröm
ISBN10
3492253091
ISBN13
9783492253093
Dt. Erstveröffentlichung
2007
Taschenbuchausgabe
416 Seiten