Escape

„Escape“ beginnt schon auf den ersten Seiten etwas beklemmend und verheißt eine spannende Geschichte. Ein unterirdisches Labor, vier Gefangene als menschliche Versuchskaninchen, genetische Veränderungen und eine ominöse Organisation namens „die Sektion“ im Hintergrund sind die Kulisse, in der sich der Leser wiederfindet. Annas Welt besteht aus der Arbeit im Labor, der Vernachlässigung durch ihren Vater und der Sehnsucht nacht ihrer Mutter, die ihrem Wissen nach gestorben ist. Anna flüchtet sich in ihre Malerei und sucht einen Ausweg aus ihrer Einsamkeit, indem sie sich bemüht, sich mit den vier Gefangenen anzufreunden. Doch was für eine Freundschaft kann zwischen der Tochter des Gefängniswärters und den Gefangenen entstehen? Anna zumindest fühlt sich Trev nahe und entwickelt heimliche Gefühle für Sam. Mit der Flucht kehren sich die Rollen um: Plötzlich befindet sich keine Glasscheibe zwischen Anna und den Jungs, jetzt ist sie es, die auf Hilfe angewiesen ist. Anna selbst ist eine sympathische und zumindest teilweise nachdenkliche Hauptperson, mit der sich sicherlich viele der jungen Leserinnen identifizieren können. Sie ist gleichzeitig mutig und intelligent, aber auch „typisch Mädchen“ in ihren Gedanken um Aussehen und Kleidung und ihrer Schwärmerei für Sam.

Das Grundgerüst der Geschichte – die Flucht vor einer schwer greifbaren, fast allgegenwärtigen und scheinbar übermächtigen Organiation – ist ein bewährtes und vielfach verwendetes Motiv in Jugendthrillern. Jennifer Rush setzt die nicht allzu innovative Idee jedoch sehr spannungsvoll um, indem sie die Hauptpersonen ähnlich eines großen Puzzles einen Hinweis nach dem anderen finden lässt, die schließlich ein stimmiges Ganzes ergeben (das jedoch sicherlich erst im letzten Band der Reihe vollständig ist). Für Anna selbst bedeutet die Jagd nach Hinweisen gleichzeitig auch die Suche nach der eigenen Geschichte, nach der Wahrheit über ihre eigene Vergangenheit, über ihre Wurzeln und ihre Rolle in der Gruppe der Jungs. Gleichzeitig muss sie sich mit so essenziellen Problemen wie Eifersucht, Verrat und Misstrauen auseinandersetzen, die ihren Glauben bis ins Tiefste erschüttern.

Die Sprache der Autorin lässt sich einfach lesen und fängt gelungen sowohl Annas Emotionen als auch die rasanten bedrohlichen Situationen während der Flucht und verschiedener Kämpfe mit der „Sektion“ ein. Hohen Anspruch darf man von diesem Thriller nicht erwarten, hier und dort klingen jedoch in Annas Gedanken auch subtile nachdenkliche Töne durch. Ein wenig klischeehaft ist anfangs Annas Rolle, die weitgehend darauf angewiesen ist, von den Jungs beschützt zu werden, jedoch immerhin später selbst eine wichtige und aktive Rolle einnimmt. Vom verängstigten und verwirrten Mädchen wird sie also zu einem recht eigenständigen Charakter, der Mut beweist und eigenverantwortliche Entscheidungen trifft. Damit ist sie nicht nur eine Sympathieträgerin, sondern auch eine deutlich erfreulichere und gesündere Identifikationsfigur als dies in ähnlichen Jugendbüchern (populärstes Beispiel: die Twilight-Reihe) der Fall ist.