Schmetterlingsjagd
Zusammenfassung zu “Schmetterlingsjagd”
Penelope ist kein gewöhnliches 17-jähriges Mädchen. Schon seit ihrer Kindheit muss sie Dinge ordnen und Zusammenhänge herstellen. Bestimmte Zahlen sind gut, andere sind schlecht, alles muss ausgewogen und im Gleichgewicht sein. Seit ihr Bruder vor einem Jahr starb, flüchtet sich ihr Vater in die Arbeit und in eine Distanz zu seiner Tochter, während Penelopes Mutter tablettenabhängig den ganzen Tag in ihrem Zimmer verbringt und fernsieht oder im Bett liegt. Penelope ist auf sich selbst gestellt, und ihre Neurosen haben sich verschlimmert. Bevor sie einen Raum, ein Haus oder den Bus betritt, muss sie mit den Fingern auf ihr Bein tippen, immer eine bestimmte Anzahl oft, dreimal oder sechsmal oder auch achtzehnmal, und danach der Wort „Banane“ sagen, auch das in einer genau festgelegten Anzahl. Außerdem ist Penelope eine Kleptomanin, die Dinge stehlen muss, um sie zu besitzen, um sie zu „retten“. Für ihre Mitschüler ist sie eine seltsame Außenseiterin, nur ein Junge namens Jeremy scheint sich für sie zu interessieren.
Auf einem Flohmarkt findet Penelope durch Zufall eine Schmetterlingsfigur, die einem ermordeten Mädchen namen Sapphire aus dem heruntergekommenen Stadtteil Neverland gehörte. Sie setzt es sich in den Kopf, Sapphires brutalen Mörder zu finden. In Neverland lernt Penelope den Straßenkünstler Flynt kennen, der keinen festen Wohnsitz hat und aus Abfällen Kunstwerke zaubert. Bei Flynt fühlt sie sich geborgen, er ist unkonventionell, ganz anders als die Schüler aus ihrer Klasse. Er nimmt sie wahr, blickt hinter ihre Neurosen und findet sie hübsch. Nur zum Thema Sapphire weicht Flynt ihr aus, er scheint etwas verbergen zu wollen. Penelope ermittelt in Neverland, in Sapphires Wohnung und an ihrem Arbeitsplatz, einem Stripclub, und stellt fest, dass Flynt das ermordete Mädchen besser kannte, als er bisher zugab. Sapphires Tagebuch bringt Penelope außerdem auf eine neue Spur: Ein Junge namens Bird, mit dem sie zusammen war, könnte hinter dem Mord stecken. Wer ist Bird und was hat Flynt mit dem Mord zu tun?
Wichtige Charaktere
- Penelope Marin, genannt „Lo“
- Flynt
- Sapphire
- Penelopes Bruder Oren
- Jeremy Theroux
- Seraphina und Gretchen
Zitate
„Es ist so: Ich klaue nicht, weil ich es will. Ich muss es einfach tun. Ich musste schon immer bestimmte Dinge tun, seit ich sieben geworden war und darauf bestand, sechs zu bleiben. Ich wusste nicht, warum, aber sieben fühlte sich schlecht an, irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich die Welt zu sehr auf eine Seite neigte. Am Anfang war es gar nicht so schlimm. Nur Kleinigkeiten – wie das Essen auf meinem Teller aussah oder dass ich die Erbsen vor dem Hühnchen essen oder den linken Schuh vor dem rechten anziehen musste. Ich fing damit an, kleine Dinge zu nehmen – eine Zahnbürste oder einen Schokoriegel im Laden, weggeworfene Ticketschnipsel vor dem Kino, Aufkleber von den Kindern in der Schule.
Aber seit Oren verschwunden ist, ist es schlimmer geworden. Viel schlimmer. Wenn der Drang jetzt kommt, fühlt er sich an wie eine übermenschliche Kraft, die meinen Körper ergreift und nicht nachlässt, bevor ich den Gegenstadn in der Hand halte, den Gegenstand, den ich unbedingt brauche. Und es geht dabei gar nicht um das Stehlen an sich, sondern ums Haben und Behalten. Für immer. Bei mir. In Sicherheit.“
„Ich fühle mich hier merkwürdig zu Hause, unter meinesgleichen – die Merwürdigen und Vergessenen, die Unsichtbaren und Übersehenen. In der Schule bin ich das Mädchen, das allein auf dem Rasen sitzt und in Alufolie eingewickelte Marmeladenstullen isst, manchmal auch in der Bibliothek, wenn es draußen zu kalt ist. Ich bin das Mädchen, das nicht in den Bus, in die Schule oder in die Klassn gehen kann, ohne zu tippen und zu bananen. Das Mädchen, das sich nie meldet, auch wenn sie die Antwort weiß, weil sie sonst den Arm zurück auf ihren Tisch legen und ihn wieder heben müsste, wieder und wieder, drei oder sechs oder neun Mal, abhängig von Umständen, die sie nicht kontrollieren kann – wie viele Wörter die Frage hatte, wie viele andere Schüler sich gemeldet haben, wie oft die Person vor ihr sich den Kopf gekratzt hat. Ich bin das Mädchen, das sich nach dem Sportunterricht nicht duschen kann, weil sie auch das mindestens dreimal tun müsste, und wenn sie damit fertig wäre, wäre die Schule längst zu Ende.
In Neverland, mit Flynt, bin ich eine tolle Mülltonnenbowlerin, eine Musikerin. Ich bin – und ich kann das Wort kaum denken, ohne dass mich ein warmes, fremdes Gefühl durchströmt – hübsch.“
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Persönliche Bewertung
Beeindruckender Jugendthriller mit einer ungewöhnlichen 'Heldin'
Kate Ellison erzählt einfühlsam und überzeugend die Geschichte von Penelope und ihren Neurosen. So überzeugend, dass man vermuten könnte, die Autorin kenne einen ähnlichen Menschen und habe sich die Beweggründe für die Zwangshandlungen erklären lassen. Penelope ist ein außergewöhnlicher Charakter, eine Heldin, die so unperfekt ist, wie man es sich nur vorstellen kann, die in ihren Zwängen gefangen ist und mit dem Leben und der Welt schlecht zurecht kommt. Woran das genau liegt, wird in der Geschichte nicht so ganz klar, denn der Tod des Bruder verschlimmerte zwar ihre Symptome, rief diese aber nicht hervor. Grundsätzlich stellt man schnell fest: Es ist schwer, sich mit der Ich-Erzählerin, der Hauptperson, zu identifizieren, die so viele seltsame und irrationale Dinge tun muss. Durch die Wahl der Erzählerin schafft die Autorin zwar Sympathien für Penelope und ihre unverständlichen Handlungen, verwirrt jedoch sicherlich auch den einen oder anderen Leser, denn logisch sind Penelopes Handlungen nicht unbedingt.
Neben der persönlichen Geschichte der Hauptperson erzählt Kate Ellison einen Thriller, eine Kriminalgeschichte, in der ein brutaler Mord (es soll nicht der einzige bleiben!) aufgeklärt wird. Die Handlung bleibt bis zum Schluss überwiegend spannend. Der Täter zeichnet sich für sehr aufmerksame und misstrauische Leser zwar schon früh ab, die Autorin vermag es jedoch, derart in die Irre zu leiten und von der Fährte abzubringen, dass es genug Spannung und Überraschungen gibt. Das sprachliche Talent der Autorin (von Übersetzerin Katja Haase gekonnt ins Deutsche übertragen) trägt sein Übriges dazu bei, dass sich „Schmetterlingsjagd“ kurzweilig und ansprechend liest.
Wie in vielen Jugendbüchern gibt es auch in „Schmetterlingsjagd“ eine Liebesgeschichte zwischen Penelope und Flynt. Die Autorin erzählt diese romantisch, doch auf eine unkitschige und außergewöhnliche Art: Die innige Beziehung zwischen dem bürgerlichen Mädchen, das wegen ihrer Neurosen eine Ausgestoßene ist, und dem Straßenkünstler, der sich selbst zu einem Ausgestoßenen machte, als er von der Gewalt zu Hause davonlief, rührt und macht nachdenklich. Die Autorin sympathisiert klar mit den Aussteigern. Das Leben auf der Straße, ohne feste Strukturen und Autoritäten, in vermeintlicher Freiheit und Unabhängigkeit, ist sicherlich für viele Jugendliche ein Ideal. Die Autorin stellt dieses Leben weitgehend positiv dar, zeigt jedoch auch die Schattenseiten, als Penelope Zeugin wird, wie Drogen konsumiert werden und dieses Erlebnis als grotesk und abstoßend empfindet. Damit schafft Kate Ellison zum einen Verständnis für andere, nicht-bürgerliche Lebensentwürfe und zeigt gleichzeitig zumindest am Rande deren Nachteile auf. „Schmetterlingsjagd“ regt dazu an, hinter die Fassaden zu blicken, den Menschen und Dingen genauer auf den Grund zu gehen.
Fazit
Die Autorin schockiert und macht betroffen, denn sie beschönigt nichts: die Neurosen der Ich-Erzählerin, die Leere und die krankhafte Situation zu Hause, der vielarbeitende distanzierte Vater und die Mutter, die im Tablettenrausch vor sich hin vegetiert. Und nebenbei erzählt sie einen spannungsvollen Thriller, der bis zum Ende fesselt.
- Originaltitel
- The Butterfly Clues
- ISBN10
- 3499216477
- ISBN13
- 9783499216473
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2012
- Gebundene Ausgabe
- 352 Seiten
- Empfohlenes Lesealter
- Ab 14 Jahren