Kolyma
Zusammenfassung zu “Kolyma”
„Kolyma“, eine Geschichte aus der Zeit der Gulags und Massenverhaftungen, beginnt im Jahr 1956. Das erste Tauwetter unter Chruschtschows setzt gerade ein. Eine geheime Rede von Chruschtschows kursiert, die das Unrecht, welches in der Stalinära millionenfach geschah, zugibt und reflektiert. Und dabei die KGB-Agenten anprangert, die massenhaft der ausführende Arm von Stalins Wahn waren. Es hat den Anschein, als käme es aufgrund dieser Rede, die eigentlich nie so hätte publiziert werden sollen, zu Racheakten von Opfern der stalinistischen Willkür an den Tätern. Der ehemalige KGB-Agent Leo, der sich seiner Frau und seiner Familie zuliebe, vielleicht auch dem Leben zuliebe, vom Geheimdienst verabschiedete, soll als Leiter der von ihm, als Ausweg aus der KGB-Misere gegründeten Mordkommission, die Mordanschläge auf die ehemaligen Täter aufklären. Dabei muss Leo verdeckt ermitteln. Und wird mit seiner Vergangenheit als Täter konfrontiert. Dabei lebt er sowieso schon jeden Tag mit seinen Taten, denn er war maßgeblich beteiligt, als die Eltern seiner Adoptivtöchter vor deren Augen umgebracht wurden. Seine älteste Adoptivtochter, Soja hasst ihren Adoptivvater als Mörder ihrer Eltern inbrünstig. Nachts steht sie mit einem Messer an seinem Bett und will Leo töten. Nur die Liebe zu ihrer kleinen Schwester Elena hindert Soja daran, ebenfalls zur Mörderin zu werden. Denn die Alternative zur Adoptivfamilie wäre ein Heim für Elena, dass Soja für ihre kleine Schwester auf jeden Fall verhindern will, da russische Kinderheime es es an Schrecken mit einem der berüchtigten Lager ohne weiteres aufnehmen können.
Um die Mordfälle an den Tätern zu lösen, und die wahnsinnige Frajera, die wahrscheinlich die Auftraggeberin ist, zu stoppen, muss Leo sich selbst in einen Gulag einweisen lassen. Und lernt die andere Seite der Gulags kennen, in die er selbst derart viele Menschen schickte. Und überlebt diesen barbarischen Ausflug nur knapp. Zurück in Moskau, beginnt der Kampf mit Frajera, der zum Kampf um seine Familie wird – für die Leo sich vor drei Jahren entschieden hat, als er den KGB verließ. Der Showdown findet jedoch nicht in Moskau statt, sondern in Ungarn, während des Aufstandes im Jahr 1958. Lange sieht es so aus, als würde Leo alles verlieren – wäre da nicht die Bäckerei über seinem ehemaligen Büro.
Wichtige Charaktere
- KGB Agent Leo Demidow
- Leo`s Adoptivtochter Soja
- Anisja alias Frajera
Zitate
„Im Mittelpunkt von Anisjas Leben hatte einzig und allein ihr neugeborener Sohn Alexej gestanden. Für ihn hatte es sich gelohnt zu leben, ein Kind, das man lieben und beschützen musste. Nachdem sie den Jungen drei Monate lang gestillt und mehr geliebt hatte, als sie je geglaubt hatte, jemanden lieben zu können, hatten sie ihn ihr weggenommen. Eines Nachts war sie aufgewacht und hatte festgestellt, dass er weg war. Zunächst hatte die Schwester behauptet, Alexej sei im Schlaf gestorben. Anisja hatte die Schwester gepackt und durchgeschüttelt und ihr Kind zurück verlangt, bis ein Wärter sie zurückgeprügelt hatte. Die Schwester hatte sie angezischt, dass keine Frau, die nach Artikel 58 verurteilt war, es verdiente ein Kind aufzuziehen. Du wirst nie eine Mutter sein. Von nun an würde der Staat die Elternschaft über das Kind übernehmen.“
„’Leo, niemand will hier zum Stalinismus zurückkehren. Massenverhaftungen gehören der Vergangenheit an. Die Lager werden geschlossen und die Folterzellen abgerissen. All diese Veränderungen spielen sich gerade ab, und sie werden auch weitergehen. Aber sie müssen heimlich weitergehen, ohne dass wir irgendwelche Verfehlungen zugeben. Wir werden uns weiterentwickeln … aber wir schauen dabei nicht zurück auf die Vergangenheit.’“
Persönliche Bewertung
Ein unterhaltsamer Thriller mit Einsicht in die Ära des Stalinismus und Einblick in die Abgründe der Lagerwelt
Hat man den Erstlingsroman von Tom Rob Smith „Kind 44“ gelesen, ist man von diesem Thriller schwer enttäuscht. Zwar sind alle Zutaten, die den Vorgängerroman zu einem der besterzählten Thriller machten vorhanden, aber das allein reicht nicht. Ursächlich dafür sind wohl die Unwahrscheinlichkeiten, die der Autor übereinander häuft, exemplarisch dafür die Figur der Anisja, die sich in Bandenführerin Frajera verwandelt. Nun mögen jedem Schriftsteller sinnbildhafte Figuren erlaubt sein, nur nehmen derart stilisierte Protagonisten dem Roman die Überzeugungskraft, wenngleich – zumindest in diesem Fall – auch nicht die Spannung. Ebenso wenig überzeugend wie die Figur der Frajera als Bandenanführerin, ist Leos Ausflug nach Kolyma – in die Welt der Lager. Zwar schildert Smith in gewohnt eindrucksvoller Manier sowohl die Abgelegenheit der Landschaft als auch die Verformungen, die das Lagerleben an Physis und Psyche der Menschen, egal ob Insasse oder Wärter, anrichtet, aber so realistisch diese Schilderung sein mag, so unrealistisch ist es auch, dass ausgerechnet Leo all diese Fährnisse überlebt. Nahezu unerträglich werden dann die letzten, ungefähr 130 Seiten, auf denen der Leser mit Station über Budapest, zu einem Happy End geführt wird. Das passt einfach nicht – und macht dieses Buch zu einer Enttäuschung, immer vorausgesetzt, man hat den auch ersten Roman von Smith gelesen. Misst der Leser das Buch nicht an „Kind 44“ bleibt ein spannender Thriller übrig, in dem einige historische Einsichten in die Zeit des Stalinismus und die Welt der Lager vermittelt und dabei versucht über Schuld und Sühne zu philosophieren, was anderen Schriftstellern schon deutlich eindrucksvoller gelang.
Fazit: Im Vergleich zu „Kind 44“ eine echte Enttäuschung, aber immer noch ein unterhaltsamer Thriller.
- Originaltitel
- The Secret Speech
- ISBN10
- 3442472350
- ISBN13
- 9783442472352
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2009
- Gebundene Ausgabe
- 475 Seiten