Der Eisdrache
Zusammenfassung zu “Der Eisdrache”
Am Rande der Welt lebt ein Mädchen mit ihren Eltern und ihren beiden Geschwistern. Es ist eine Zeit, in der noch die Eisdrachen für den Winter verantwortlich sind, und erst, wenn sie wieder davonfliegen, kann der Frühling ins Land ziehen. Das Mädchen wartet inmitten der Kälte sehnsuchtsvoll auf das Verschwinden der Eisdrachen. Zwar leben sie alle in einem Holzhaus mit wärmendem Kamin, aber es ist eine harte Zeit. Ein Sturm in der Nacht soll sich als verhängnisvolles Übel für die Familie herausstellen. Denn einer der Eisdrachen hat sich seinen Flügel verletzt und ist zurückgeblieben. Er liegt nun gestrandet auf dem Dach des Hauses. So erklärt es sich, dass der Vater kein Glück bei der Jagd hat, die Suppe immer mehr gestreckt werden muss und das Familienoberhaupt schließlich erkrankt. Nun muss das Mädchen für die Familie auf die Jagd gehen, kehrt aber ebenso mit leeren Händen zurück. Sie ist die einzige, die den riesigen Drachen auf dem Dach entdeckt und erschrickt. Wütend fordert sie ihn auf, wegzufliegen. Doch der Drache kann nicht. Ein eingerissener Flügel hindert ihn am fortziehen. Er bittet das Mädchen um Hilfe, aber dieses ist so zornig, dass es den Drachen allein lässt. Auch sein wiederholtes Flehen ignoriert sie und fordert ihn stattdessen auf, endlich wegzufliegen, um dem Frühling Platz zu machen. Erst, als es fast zu spät ist, hat sie einen genialen Einfall und ist fest entschlossen, ihre Familie zu retten. Und als sie dem sterbenden Drachen in die tiefblauen Augen schaut, fühlt sie endlich auch etwas für ihn…
Wichtige Charaktere
- ein junges Mädchen und ihre Familie
- ein verletzter Eisdrache
- andere Eisdrachen
Zitate
„Eisfinger drangen unter der Tür hindurch ins Zimmer und kniffen das Mädchen in die Zehen. Ihr Vater kämpfte sich durch bis zum Wald, um zu jagen. Ihre Mutter arbeitete am Webstuhl, mit fliegendem Schiffchen. Das Mädchen sang alte Weisen für ihre winzige Schwester und brachte ihrem Bruder Fadenspiele bei. Die Eisfinger griffen nach ihren Fußknöcheln.“
„Dort, zwischen den Schnitzereien auf dem Dach, lag ein gewaltiger Eisdrache. Silberne Stacheln glitzerten seinen Rücken entlang. Seine Klauen glänzten wie Gletschereis. Die spitzen Zähne waren so weiß wie Mondlicht, die blauen Augen so hart wie Hagelkörner.“
Illustrationen aus „Der Eisdrache“
„Making of“ der Illustrationen
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Persönliche Bewertung
Ein poetisch verfasstes Märchen wie aus einer anderen Zeit, in traumhafte Bilder gebettet!
Troon Harrison hat es geschafft, in der heutigen Zeit ein Märchen zu verfassen, von dem dennoch der Zauber vergangener Welten ausströmt und das seine Leser nicht nur lange über das Erzählte nachdenken lässt sondern außerdem ungemein berührt. Zudem ist es wundervoll poetisch geschrieben und von Pauline Katz ins Deutsche übersetzt worden. Wäre dem nicht genug, wurde dem Buch mit Spotlack auf dem Umschlag ein angemessenes Zuhause geschenkt, und Andrea Offermann hat behutsam, einfühlsam und unglaublich treffsicher Figuren und Szenario zum Leben erweckt. Das alles ist nicht alltäglich, es ist eine echte Entdeckung und wird hoffentlich viele Lese- und Vorlesegenerationen lang Bestand haben. Es ist ein Märchen, das von der Abhängigkeit und der Verbundenheit des Menschen von und mit der Natur erzählt, deren Verwundung letzlich auf den Menschen zurückfällt. Daneben erzählt die Autorin von Vorurteilen, von Zorn, Mut, Einfallsreichtum und letzlich von Mitgefühl und Liebe.
Sprachlich überwiegt wie bei so vielen Märchen der erzählerische Teil, Dialoge finden dennoch in der Geschichte statt. Zum einen zwischen dem Mädchen und ihrer Familie, zum anderen zwischen dem Mädchen und dem verletzten Drachen. Troon Harrison webt immer wieder bildliche Vergleiche in ihren Erzählteil ein und beschreibt ungemein poetisch das Geschehen. Die Dramatik der Handlung baut sie Stück für Stück auf. Dazu greift sie auch auf die in Märchen gängige Verwendung der Zahl drei zurück, indem das Mädchen drei erfolglose Versuche unternimmt, Essen für die Familie zu erjagen. Das Auftauchen des Drachen auf dem Hausdach und die Uneinsichtigkeit des Kindes schaukeln sich zudem immer weiter hoch, bis das weinende Tier das Türschloss mit seinen Tränen vereist und die Familie in ihrem eigenen Haus gefangen ist. Vielleicht wird man es als hartherzig empfinden, dass das Mädchen dem verletzten Drachen nicht hilft, denn dieser bitte sie mehrmals explizit, aber vergeblich darum. Doch würde sie ihm sofort beim ersten Mal helfen, die Geschichte wäre sofort beendet. Harrisson weiß auch hier geschickt die Gefühlswelt des Mädchens zu beschreiben, der Kälte, Hunger und Verzweiflung zusetzen. Symbolisch greifen die Eisfinger erst nach ihren Knöcheln und arbeiten sich parallel zu ihrem Verhalten gegenüber dem Drachen bis zum Herzen vor. Wie wunderbar, dass es am Ende dennoch für alle zu einem guten Ende kommt. Die Idee, wie dies geschieht, sei hier nicht verraten, ist aber sehr kreativ und könnte passender nicht sein.
Was Troon Harrison für den Text ist, ist Andrea Offermann für die Illustration: die perfekte Besetzung. Ihr Stil wirkt sehr stimmig zur Textvorlage, mit Bedacht wählt sie die zu zeichnenden Szenen aus und erschafft einen Drachen, der jenseits der gängigen Vorstellungen steht. Mit zarten libellenhaften Flügeln und Fell statt Schuppen ist er am ehesten noch als eine Mischung aus Fuchur aus der Verfilmung Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ und Gestalten aus der Feder Arthur Rackhams zu beschreiben. Und wenn das Märchen am Ende der Welt spielt, ist dies genau der richtige Ort, wo neben der Phantasie das Zuhause dieser faszinierenden Wesen liegen mag. Neben der eisigen, unwirtlichen Landschaft vermag Offermann es ebenso gekonnt, das Innere des Hauses im Kontrast dazu darzustellen. Besonders schön ist daran, dass sich der Verlauf der Geschichte in den Bildern ablesen lässt, wenn etwa die Marmeladengläser und Essensvorräte aus dem Haus und den Regalen verschwinden. Weitere Highlights sind die Verschmelzung der Pfote des Eisdrachens mit den herunterhängenden Eiszapfen des Hausdachs, oder der Querschnitt, der die Tierhöhlen unter dem Schnee sichtbar macht. Der Text wurde angenehm in die Zeichnungen integriert, selbst die Umschlaginnenseiten erzählen mit einer entscheidenden Veränderung den Verlauf der Geschichte!
Fazit
Ein sprachlich, inhaltlich und gestalterisch beeindruckend zeitloses Märchen vom Rande der Welt, das hoffentlich weite Verbreitung findet. Für alle, die Tiefsinn, Naturverbundenheit und Poesie, in Kombination mit Symbolik, Dramatik und Fantasy zu schätzen wissen, und letztlich für alle, die auf den Frühling warten! Ein Buch, das man jedes Jahr auf’s Neue hervorholen mag und mit dem man alt werden möchte.
- ISBN10
- 3701721246
- ISBN13
- 9783701721245
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2013
- Gebundene Ausgabe
- 55 Seiten
- Empfohlenes Lesealter
- Ab 6 Jahren