Der Traum meines Großvaters
Zusammenfassung zu “Der Traum meines Großvaters”
Erzählt wird die Geschichte des Fiebers, die das (fiktive) Dorf Dingzhuang in der chinesischen Provinz Henan verwüstet. Der Erzähler ist ein toter zwölfjähriger Junge, der seinem noch lebenden Großvater in den Träumen erscheint und diesem seine Geschichte erzählt.
Der Vater des Jungen, der Sohn des Großvaters, war Blutchef des Dorfes. Die Blutchefs waren diejenigen, die, auf Anweisung der Provinzregierungen, Bewohner ganzer Dörfer ermutigten und bezahlten, ihr Blut zu verkaufen. Das Problem dabei: selten wurden die Spritzen ausgetauscht, Desinfektion fand praktisch nicht statt. Das Fieber, dass Jahre später, in dem ganzen Dorf grassiert, trägt einen Namen: AIDS.
Seite um Seite, nahezu detailversessen erzählt der Junge, wie das Dorf und die ganze Region aussterben. Erzählt wird von aufkommender Hoffnung und abschließender Hoffnungslosigkeit, und von der Ignoranz der Zentralregierung.
Yan Lianke erzählt in seinem fiktiven Roman eine wahre Geschichte. In China ist das Buch – nachdem einige zehntausend Exemplare verkauft wurden – verboten worden. Das Vergehen des Autors bestand einzig darin, ein Thema aufgegriffen und (ausgesprochen realistisch) dargestellt zu haben, das Millionen Menschen in ihrer Existenz betrifft: die Aidsepidemie, die in erschreckendem Ausmaß in mehr als zehn chinesischen Provinzen wütet. Banale Ursache der Epidemie: mangelnde Hygiene bei der Blutentnahme, die in Händen der Provinzregierungen lag, denen qualifiziertes Personal nicht zur Verfügung stand. Es ging nur darum, schnell und leicht Geld zu verdienen. So konnte ein einziger Fall von Aids ausreichen, um ganze Landstriche zu verwüsten. Selbst nach Ausbruch der Krankheit zögerten die Behörden noch lange, auch nur zuzugeben, dass es sich zum einen um AIDS handele und dass zum zweiten die mangelnde Hygiene bei den Blutspenden die Ursache gewesen sei. Entschlossene Hilfsmaßnahmen gab es seitens der Regierung gar nicht.
Zitate
„In dieser Schwefelwolke stand unser Haus. Der Geruch stieg den Leuten tagtäglich in die Nase und reizte ihre Augen, aber sie mochten ihn dennoch. Viele Dorfbewohner lebten in dieser Atmosphäre. Und viele weitere wollten dort leben, deshalb verkauften sie alle Blut. Deshalb hatten alle das Fieber. In der Neuen Straße wohnten insgesamt zwei Dutzend Familien. Das Oberhaupt einer jeden war seinerzeit Blutchef gewesen. Blutchefs hatten viel Geld verdient, deshalb konnten sie die neue Straße bauen. Deshalb wohnten sie alle in der Neuen Straße. Deshalb gab es die Neue Straße. Mein Vater war damals als Erster Blutchef geworden und wurde später der größte. Der König der Blutchefs. Daher wohnte unsere Familie in der Mitte der Neuen Straße, in einem Haus mit drei statt zwei Stockwerken.“
„Allerdings keine Bäume mehr; die waren sämtlich gefällt worden, um Särge daraus zu machen. Ebenso wie in den Häusern überall die Türen und Fenster und Schränke fehlten. Weil sie zu Särgen verarbeitet waren. Auch in den Nachbarkreisen …traf Großvater kaum noch eine Menschenseele an.“
Persönliche Bewertung
Tatsachenbericht über die AIDS-Epidemie in China. Schmerzvoller und absolut hoffnungsloser Roman.
Der Autor beschließt seinen Roman mit einer Entschuldigung an den Leser. Er bittet darum, zu verzeihen, dass den Leserinnen und Lesern ungeheurer Schmerz zugefügt wurde, und im ganzen Buch nichts von der Freude, die unsere Welt erfüllt, vermittelt werden konnte. Dieser Bitte kann wenig hinzugefügt, will man etwas über den Roman sagen. Die Beschreibung der Vernichtung, die das Virus auslöst, ist derart detailreich dargestellt, durch keinen Lichtschein abgemildert, dass man kaum zu glauben vermag, dass das Leben wirklich so grausam sein kann. Selten hat die Rezensentin einen derart bedrückenden Roman gelesen, und war immer in Versuchung, dieses Buch zur Seite zu legen, weil tatsächlich der Schmerz kaum auszuhalten war. Im Vergleich zum „Traum des Großvaters“ wirkt selbst die Beschreibung des Lagerlebens in Solschenizyns Roman „Archipel Gulag“ ausgesprochen hoffnungsvoll.
- Originaltitel
- Ding zhuang meng
- ISBN10
- 3548610048
- ISBN13
- 9783548610047
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2009
- Taschenbuchausgabe
- 363 Seiten