Wie wilde Gräser

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Verlag
Desina Verlag
Anspruch
5 von 5
Lesespaß
5 von 5
Schreibstil
5 von 5
Spannung
4 von 5

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Zusammenfassung zu “Wie wilde Gräser”

Das 13-jährige Mädchen Tongli bewirtschaftet gemeinsam mit ihrer Großmutter einen Hof, seit ihre Eltern nach Peking gezogen sind, um dort zu arbeiten und Geld zu verdienen. Der Weg zur Schule ist weit, doch bisher konnte Tongli ihn mit ihrem Freund Lin Kai gemeinsam zurücklegen. Nun ist dessen Großvater gestorben, und Lin Kai ist in das Internat auf dem Schulgelände gezogen. Der Tag ihres ersten einsamen Schulweges hält gleich eine unangenehme Überraschung bereit: Zwar freut sich Tongli, dass Lin Kai ihr ein Stück des Weges entgegenkommt, doch als sie gemeinsam die Schule erreichen, wird Lin Kai beschuldigt, an einem Einbruch beteiligt zu sein.

Der tatsächliche Täter ist ein Mitschüler namens Luo Jun, der sich aus Geldnot in die Verbrechen einer Bande hineinziehen ließ und nun mit seinem schlechten Gewissen leben muss. Gleichzeitig verbringt er seine Wochenenden damit, seinem Großvater bei der harten Arbeit zu helfen und sich eine Stelle zu suchen, die ihm zumindest ein wenig Geld verschafft, denn seine Eltern wurden um ihren Lohn betrogen, und so ist das Geld zum Leben knapp. Tao Jia, Tonglis Freundin, hat dagegen andere Sorgen: Seit ihre Eltern in die Stadt zogen, wird sie von ihren Verwandten nur geduldet, während man sie ständig spüren lässt, welch lästiges Übel sie im Haushalt ist. Und wie lange wird Tonglis Großmutter noch den Hof bestellen können…

Wichtige Charaktere

  • Tongli
  • ihre Großmutter
  • Lin Kai
  • Tao Jia
  • Luo Jun
  • Frau Li
  • der Hund Huan

Zitate

„Sie ging bis zum Felsenrand und ließ den Blick über das Panorama der Flusslandschaft schweifen. Breit und ruhig floss der Strom dahin, winzige Wellen kräuselten seine Oberfläche und glitzerten silbern im Sonnenlicht. In weitem Abstand standen Weiden am Ufer, ihre graziösen, hellgrünen Zweige hingen nieder bis auf das Wasser. Im Hintergrund staffelten sich Hügelketten und verloren sich fern im Dunst.
‚Ob unsere Eltern in der Stadt diese herrliche Landschaft wohl vermissen?‘, kam es Tongli unwillkürlich über die Lippen.
‚Nein, meine Eltern nicht‘, antwortete Tao Jia, die neben sie getreten war, prompt. ‚Nicht einmal mich, ihre eigene Tochter, vermissen sie.'“

„Wer also war schuld an diesen Tragödien? Die ganze Gesellschaft war dafür verantwortlich. Man bejubelte den wirtschaftlichen Aufschwung der Städte und übersah in der Erfolgsbilanz den Preis, den die ländliche Bevölkerung dafür bezahlte, besonders die Kinder. Die mussten still und stumm unter den negativen Folgen dieser rasanten Entwicklungen leiden.
Ihr stand eine Szene vor Augen, die sich jedes Jahr wiederholte. Nach dem Neujahrsfest brach ein Lastwagen nach dem anderen von ihrem Ort aus auf, um die für wenige Tage zu Besuch gekommenen Eltern in die Städte zurückzubringen. Am Straßenrand aber harrten die frierenden Kinder im eisigen Wind aus und schauten den davonfahrenden Eltern hinterher, die Augen voller Tränen.“

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Persönliche Bewertung

Tiefsinnige, einfühlsam erzählte Geschichte aus einer chinesischen Kindheit

5 von 5

Wie schon der Vorgänger, „Das Mädchen am Rande der Stadt“, erzählt auch dieses Buch die Geschichte eines chinesischen Mädchens. Im Unterschied gibt die Autorin diesmal jedoch einen Einblick in die Kindheit auf dem Lande, in das Leben der zurückgelassenen Kinder, deren Eltern gezwungen sind, in die Stadt zu gehen, ihre Kinder zurückzulassen und unter oft unwürdigen Bedingungen ihren Hungerlohn zu verdienen.

Wie auf dem Klappentext des Buches zu lesen ist, beruht die Geschichte um Tongli auf einer wahren Begebenheit, so weit entfernt und so surreal die Lebensumstände vieler chinesischer Kinder und Jugendlicher also den jungen Lesern und Leserinnen auch erscheinen mögen – tausende von Kilometern entfernt ist dieses Leben Realität. Und das dürfte sowohl nachdenklich als auch betroffen machen. Sei es, um die eigenen Privilegien besser zu schätzen zu wissen oder um ein Bewusstsein für die Arbeitsbedingungen in anderen Ländern zu schaffen, die schließlich nicht selten von westlichen Konsumgewohnheiten beeinflusst werden. Unaufgeregt, einfühlsam und ohne Pathos oder Kitsch erzählt Anna Xiulan Zeeck von den täglichen Herausforderungen vier Jugendlicher, ohne zu beschönigen, aber auch ohne auf Schockmomente zu setzen. Während der Handlung verfolgt der auktoriale Erzähler Tongli, Lin Kai, Tao Jia und Luo Jun abwechselnd, der Fokus liegt jedoch klar auf Tongli. Durch die Entscheidung, zwei Jungen und zwei Mädchen als Charaktere auszuwählen, bietet die Autorin jedem Leser und jeder Leserin eine Identifikationsfigur.

Im Gegensatz zu dem harten, sehr einfachen Leben stehen die warmherzigen Beziehungen zwischen den Charakteren sowie die wunderschönen Landschaftsbeschreibungen, die die Autorin gewohnt eindrücklich in ihrer poetischen Sprache ihren Lesern nahezubringen weiß. Ergänzend gibt es im Anhang des Buches ein kurzes Nachwort, das die Situation der „zurückgelassenen Kinder“ erklärt. Hochspannung darf niemand von diesem Buch erwarten, dafür jedoch eine berührende eindrucksvoll geschriebene Geschichte.

Fazit

In gewohnt poetischer, einfühlsamer Sprache erzählt Anna Xiulan Zeeck aus dem Alltag chinesischer Kinder. Ein Buch, das in gleichem Maße Traurigkeit und Mitgefühl hervorruft, wie es die Faszination für die chinesische Kultur und die atemberaubenden Landschaften weckt.

ISBN10
3940307270
ISBN13
9783940307279
Dt. Erstveröffentlichung
2014
Gebundene Ausgabe
190 Seiten
Empfohlenes Lesealter
Ab 10 Jahren