Sansibar oder der letzte Grund
Zusammenfassung zu “Sansibar oder der letzte Grund”
Im Mittelpunkt des Romans stehen sechs Personen, die eines gemeinsam haben – sie wollen das Deutschland der späten 1930er Jahre verlassen. Sie leben in einer Kleinstadt an der Ostsee, Rerik. Da ist zum Beispiel ein Fünfzehnjähriger, „der Junge“, der sich seit dem Tod seines Vaters als Lehrjunge bei Fischer Heinrich Knudsen verdingt und nichts mehr wünscht, als dem öden Kleinstadtleben zu entfliehen. Er träumt von Abenteuern und einem besseren Leben und ist sich sicher, dass sein Vater nur deshalb ertrank, weil auch er aus der einengenden Welt ausbrechen wollte. Und Gregor, ein junger Kommunist, der sich an die Seite Judiths, einer Jüdin, stellt. Sie ist aus wohlhabendem Hause, und ihre Mutter hat sich unlängst umgebracht. Judith muss vor den Nationalsozialisten fliehen – sie will gemeinsam mit Gregor, Fischer Knudsen und Helander, einem bürgerlich-konservativen Pfarrer, nach Schweden fliehen.
Fischer Knudsen und Gregor teilen ihre kommunistische Weltanschauung, wenngleich Knudsen Gregors intellektuelle Gedankenansätze nie weit genug gehen. Judiths erster Fluchtversuch misslingt, und in diesem Augenblick begegnet sie Gregor. Er führt sie in die Georgenkirche, wo er für sie ein Nachtlager richtet, an dem sich zuvor die Figur des Künstlers Ernst Barlach, „Der lesende Klosterschüler“ befand. Gregor und Judith haben vor, die Figur mit auf die Flucht nach Schweden zu nehmen und das Kunstwerk vor den Fängen der Nationalsozialisten zu bewahren. Knudsen bereitet die verabredete Flucht vor und stellt einen Fischkutter bereit. Doch die Ereignisse nehmen für alle einen unerwarteten Lauf…
Wichtige Charaktere
- Der fünfzehnjährige Junge, Sohn eines ertrunkenen Fischers
- Gregor, der Jungkommunist
- Knudsen, ein Fischer
- Pfarrer Helander
- Judith
Interpretation
Mit seinem Roman „Sansibar oder der letzte Grund“ traf Alfred Andersch, der von 1914 bis 1980 lebte, den Nerv der damaligen Zeit und prägte die Literatur nach 1945 entscheidend mit. Die menschenverachtende Machtpolitik der Nationalsozialisten thematisierte Andersch am Beispiel seiner sechs Hauptakteure, denn jeder leidet auf seine Art unter den politischen Repressalien. Die Jüdin Judith und die beiden Kommunisten Gregor und Knudsen treiben dabei auch ganz existenzielle Beweggründe an, während „der Junge“ offenbar aus reiner Abenteuerlust aus Deutschland entfliehen will. Andersch greift auf, dass ganz normale Schicksale von den Nationalsozialisten auf das Gefährlichste bedroht waren.
In Pfarrer Helander schuf Andersch anhand dessen bürgerlich-konservativer Gesinnung ein Gegenstück zu den anderen Figuren. Helander liegt die Bewahrung des Kunstwerks – des betenden Klosterschülers – aus christlichen Beweggründen am Herzen. Die verschiedenen Ideologien, die nicht viel miteinander gemein haben, schweißt Andersch in seinem Roman zusammen – so beteiligt sich Kommunist Knudsen am heimlichen Transport der Holzfigur Bärlachs, obwohl ihm christliche Glaubensgrundsätze nichts bedeuten. In der Zeit, in der Anderschs Roman erschien, war in literarischen Kreisen die Auseinandersetzung mit der Aufarbeitung des Nationalsozialismus eine der wichtigsten Aufgaben, die sich die damaligen Schriftsteller auferlegten – auch Anderschs Roman „Sansibar oder der letzte Grund“ fügt sich in diesen Zeitgeist ein. Dabei symbolisiert der Ort Sansibar den Wunsch nach Ferne und Freiheit.
Persönliche Bewertung
Ein wichtiges Zeitzeugnis der Literatur nach 1945
„Sansibar oder der letzte Grund“ gilt völlig zu Recht als eines der bedeutendsten Werke des Autors. Er zeigte darin anhand seiner authentisch wirkenden Romanfiguren, wie diese unter den Einschränkungen und Unterdrückungen durch die nationalsozialistischen Gewaltherrscher zu leiden haben. Die Flucht, als scheinbar einziges Mittel, um aus den vorherrschenden Lebensumständen zu entkommen, ist nur vordergründig die alleinige Lösung – am Beispiel von Fischer Knudsen zeigt dies Andersch eindrucksvoll, denn Knudsen müsste seine geisteskranke Frau zurücklassen, wo sie unweigerlich den Nationalsozialisten in die Hände fiele.
Die Konflikte, die jeder persönlich durchlebt, kommen in Anderschs Roman sehr gut nachvollziehbar zum Ausdruck. Die Leser können sich sowohl in die einzelnen Personen, als auch in die damalige Zeit hineinversetzen. Dass Andersch mit den Personen Gregor und Judith auch eine zarte Liebesbeziehung einbezogen hat, verleiht dem Roman zusätzliche und facettenreiche Aspekte. Ein weiterer Pluspunkt des Romans ist, dass Autor Andersch keine der Ideologien überbetonte, sondern die Vor- und Nachteile jeder politischen Strömung und Glaubensrichtung aufzeigte.
Was die Leser erwarten, ist eine klare Ablehnung des Nationalsozialismus, und dies erfüllte Andersch vollständig. Die Suche danach, welche Politik letztendlich eine Lösung für alle Menschen wäre, gab Andersch nicht vor, sondern überließ es den Lesern, eigene Lösungsansätze zu finden. Andersch ermöglichte es den Lesern auch, die Gedankengänge der Romanfiguren leicht nachvollziehen zu können, indem er sie innere Monologe führen ließ. Der Autor brachte an zahlreichen Stellen des Romans Spannung in die Handlung, da es oft zu unerwarteten Wendungen kommt. Besonders auch Anderschs Erzählkunst wird die Leser dieses Werkes immer wieder neu begeistern.
Fazit
Alfred Anderschs Roman ist eines der lesenswertesten Bücher aus dem Bereich der Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Buch eignet sich für jugendliche und erwachsene Leser und offenbart auf authentische Weise, wie der Nationalsozialismus in das Alltagsleben der Menschen eingriff und sie in ihrer Existenz bedrohte. Der Wunsch, allem zu entfliehen, thematisierte Andersch eindrucksvoll, indem jede Romanfigur ihre eigenen, individuellen Beweggründe dafür hat.
- ISBN10
- 3257236018
- ISBN13
- 9783257236019
- Dt. Erstveröffentlichung
- 1957
- Taschenbuchausgabe
- 178 Seiten