Lampenfieber

Künstlergeschichten

Autoren
Übersetzer
Angelika Schneider
Verlag
Diogenes Verlag
Anspruch
5 von 5
Humor
4 von 5
Lesespaß
5 von 5
Schreibstil
5 von 5
Spannung
3 von 5

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Zusammenfassung zu “Lampenfieber”

Lampenfieber vereint fünf Erzählungen, deren zentrales Thema Frauengeschichten sind. Geschichten über Künstlerinnen – Schriftstellerinnen, Schauspielerinnen und eine Eiskunstläuferin. Alle skizzierten Frauen sind hin- und hergerissen vom Drang etwas zu erschaffen und dazugehören zu wollen, bleiben aber im Alltag kleben, und wollen ihm doch immer wieder entkommen. In der ersten Erzählung „Lampenfieber“ will die junge Marianna nicht in der Provinz verkümmern, sondern Schauspielerin werden. Dazu braucht sie erstmal den richtigen Mann. Um dann, koste was es wolle, an ihrem Traum weiterzuarbeiten. Es dauert fast ein ganzes Leben, bis sie begreift, dass für den Erfolg andere Dinge nötig sind. Tatjana hingegen, in „Beinbruch“ ist besessen vom Eiskunstlauf und von ihrer ersten großen Liebe, die natürlich ein Eiskunstläufer war. Erst ein komplizierter Beinbruch lehrt sie, dass es im Leben auch andere Dinge als den bedingungslosen Ehrgeiz gibt. Die Erzählung „Der Preis des Ruhms“ erzählt gleich zwei Geschichten: die der aufstrebenden Schriftstellerin und die der großartigen, aber einsam alternden Lehrerin. Aber auch diese findet, wie alle fünf Geschichten, ein überraschend warmes Ende.

Zitate

„Aber es war die Wahrheit. Marusja hatte ihre Wärme und Geborgenheit gefunden. das war ein Gefühl, nicht wie die erste Leidenschaft in der Schulzeit, und auch nicht wie das sündige Stelldichein mit dem Schriftsteller. Es war diese Wärme und Geborgenheit, die nur ihr gehörte. Sie beide gehörten zueinander wie zwei Kerne in einem Apfelgehäuse. Der Apfel gehörte zum Zweig, der Zweig zum Stamm. So gehörten auch sie zur ganzen Menschheit. Aber im Dunkel der Nacht gehörten sie nur zueinander. Ihr Apfel war ganz reif.“

„Die Liebe – das war die Flagge, die über der Baracke wehte, und alles, was man im Leben tat, tat man nur für sie. Sogar das Schaffen wurde in diesem Feuer verbrannt, damit es heller brannte und von weither sichtbar war, damit nur endlich jemand auf dieses Licht zukäme. Damit einer dasteht und sich wärmt und nie wieder weggehen will.“

„Der Sohn eines ungeliebten Menschen ist wie ein Teil dieses Menschen. Man küßt ihn nicht gern. Und dann war Krieg. Viele atmeten erleichtert auf: Endlich keine Verhaftungen mehr, man stellte vom inneren auf den äußeren Feind um.“

Persönliche Bewertung

Bezaubernd tragisch-schöne mit sanftem Humor überstrichene Erzählungen. Sehr russisch!

4 von 5

Die Stärke der Tokarjewa liegt sicher nicht in der Vielfalt der Geschichten, die sie erzählt. Selbst in diesem Bändchen, das fünf verschiedene Erzählungen enthält, scheinen die einzelnen Schicksale schwebend ineinander überzugehen. Der Leser merkt kaum, dass die Hauptperson gewechselt hat. Immer geht es um die Sehnsucht etwas zu erschaffen und um die Sehnsucht nach Liebe. Das Hindernis ist immer der Alltag (und oft der Alkohol, dem die Männer verfallen). Aber bei aller Ähnlichkeit in den Befindlichkeiten und im Handlungskolorit ist doch jede Erzählung einzigartig. Jede der Frauen zieht eine andere Konsequenz aus ihrem Leben und ihren Erfahrungen. Und alle fünf entwickeln sich – jeweils anders. Davon zu erzählen ist noch nicht wirklich aufregend. Wirklich aufregend und atemberaubend bezaubernd sind diese fünf Geschichten erst, weil sie von Viktorija Tokarjewa in Worte gesetzt wurden. Der Erzählstil, der 1937 in der Sowjetunion geborenen Schriftstellerin, die fast nur von der Kunst und der Liebe berichtet, ist schlicht unvergleichlich. Sie schreibt knapp und präzise und kommt dabei aber fast ohne Beschreibungen aus. Sie schreibt humorvoll, ohne dass man jemals auf die Idee kommen würde, in Lachen auszubrechen. Tokarjewas Schreibkunst ist zutiefst russisch, mit einer großen Prise Traurigkeit und Melancholie gewürzt, die dazu verhilft, selbst
Tragisches noch leichtnehmen zu können, ohne es deswegen auf die leichte Schulter zu nehmen. Wer die russische Frau verstehen will, muss Tokarjewa gelesen haben. Ein weibliches Pendant zu Anton Tschechov.

Fazit

Bezaubernd tragisch-schöne mit sanftem Humor überstrichene Erzählungen, die das Herz erwärmen. Sehr russisch!

Originaltitel
Protivnaja, Moj master, Nemnosko o kino, Perelom, Sistema sobak
ISBN10
3257062060
ISBN13
9783257062069
Dt. Erstveröffentlichung
1999
Gebundene Ausgabe
262 Seiten