Ketchup für die Königin

Mit der sympathischen Nina, die aus Kindersicht nicht verstehen kann, wieso man sich am Tisch benehmen sollte, und einer gehörigen Portion Absurdität und Witz fällt es dem ersten Kindercomic von Rutu Modan nicht schwer, sowohl bei Kindern als auch bei junggebliebenen Erwachsenen zu punkten. Die Handlung entwickelt sich so rasant und so unvermittelt, dass der Mund noch staunend offen steht, während die Augen schon Seiten weiter lesen. Es ist genau diese direkte vor den eigenen Augen sich vollziehende Unmöglichkeit, die fasziniert und gefällt. Wo passiert so etwas schon im echten Leben? Dadurch wird die Geschichte vom Kleinen, vom Familienesstisch ins Große, in den Buckingham Palast transportiert und damit auch die Hauptdarstellerin, Nina.

Jenseits der elterlichen Vertrautheit und Bevormundung ist für sie nun vieles Neuland, und sie fühlt sich unsicher. Aber während die Eltern sich noch Sorgen um ihr Auftreten machen und ihr noch Kleid und Zahnbürste reichen wollen, betritt Nina einfach mit zwei verschiedenen Socken und ohne Schuhe den Privatjet und erinnert nicht nur deshalb an Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf. Obwohl sie die Gepflogenheiten am Hof nicht kennt, bemüht sie sich dennoch auf ehrliche, kindliche Art um Höflichkeit und angemessenes Auftreten. Viele Leser, besonders die jüngeren, dürfte es freuen, dass Nina von den aufgetischten Delikatessen der Erwachsenen absolut nichts mag. Stattdessen fragt sie nach Nudeln mit Ketchup – und sieht sich dann einer Vielzahl von übermächtig wirkendem Besteck gegenüber, wunderbar zeichnerisch aus der Vogelperspektive dargestellt. Da es aber keine Nudelgabel gibt, dafür aber einen mürrischen General, kriegt Nina leuchtende Augen. Wie viel einfacher essen sich Spaghetti doch so, wie sie es gewohnt ist! Man darf auf die Reaktionen des Hofs gespannt sein…

Die Bilder, die Rutu Modan zu ihrem Comic gezeichnet hat, erinnern an die von Hergé, die Gesichtsausdrücke ihrer Figuren geben deren Emotionen vortrefflich wieder. Leider ist die Druckqualität nicht durchgehend auf einem Niveau, besonders bei Hautfarben und Gesichtern wirken die Zeichnungen auf dem Papier rotstichig. Das ist aber auch fast das Einzige, was man dem Buch vorhalten kann. Dass die Seitenzahlen und eine Bordüre aus Nudeln am unteren Bildrand in der deutschen Ausgabe gegenüber der ins Englische übersetzten Ausgabe fehlen, ist zwar schade, aber sicherlich Geschmacksache. Insgesamt wird der Kontrast zwischen der Wahrnehmung von Kindern und Erwachsenen mit Modans Comic anschaulich illustriert. Das Ende der Geschichte enthält wie das gesamte Buch keine Belehrung, dennoch wird deutlich, mit wessen Perspektive Mondan sympathisiert. Wenn man auf dem letzten Bild durchs Flugzeugfenster in Ninas Augen schaut, wünscht man sich sehnlich, dass es ein Wiedersehen mit ihr gibt.