Gottes Werk und Teufels Beitrag

Autoren
Übersetzer
Thomas Lindquist
Verlag
Diogenes Verlag
Anspruch
5 von 5
Humor
5 von 5
Lesespaß
5 von 5
Schreibstil
5 von 5
Spannung
5 von 5

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Zusammenfassung zu “Gottes Werk und Teufels Beitrag”

US-Bundesstaat Maine in den 30er-Jahren. Der Gynäkologe Wilbur March, ein verschroben wirkender und Äther abhängiger Junggeselle, ist Leiter des Waisenhauses von St. Cloud’s. Einerseits Geburtsthelfer für ungewollte Kinder, führt er andererseits gesetzeswidrige Abtreibungen durch. Eines der Waisenkinder wird niemals adoptiert: Homer Wells. Er möchte bleiben und Dr. Wilbur helfen, wird dessen Ziehsohn und Assistent. Er liebt „das Werk Gottes“, die Geburten, aber er weigert sich, bei „Teufels Beitrag“, den Schwangerschaftsabbrüchen, zu helfen.

Homer wird älter und will die Welt kennenlernen. Candy, die ungewollt schwanger ist, kommt mit ihrem Freund Wally nach St. Cloud’s. Die beiden nehmen Homer mit nach Ocean’s View. Dort – auf den Apfelplantagen von Wallys Familie und erstmals im Leben am Meer – lernt Homer alles über das Pflücken von Äpfeln und verliebt sich in Candy. Sie mag ihn auch, bleibt aber mit Wally zusammen. Der muss im Zweiten Weltkrieg Einsätze in Fernost fliegen, wird abgeschossen und für tot gehalten. Homer und Candy beginnen eine Liebesbeziehung. Candy wird wieder schwanger und fährt mit Homer nach St. Cloud’s, um ihr Kind zu bekommen und großzuziehen. Niemand in Ocean’s View soll davon erfahren. Doch dann wird Wally querschnittgelähmt nach Hause gebracht. Homer und Candy kehren mit ihrem Sohn Angel dorthin zurück, behaupten, Homer habe das Kind adoptiert.

15 Jahre vergehen – Wally und Candy leben als Eheleute, Homer und Angel als Adoptivvater und Sohn in Wallys Elternhaus. Wilbur Larch indes droht die Entlassung, da man ihm illegale Abtreibungen unterstellt. Er ersinnt eine List, in der Homer eine Rolle spielt – als geeigneter Nachfolger. Homer weigert sich zunächst, ändert aber seine Meinung, als sich sein Sohn in die Tochter eines Pflückers verliebt und diese von ihrem eigenen Vater missbraucht und geschwängert wird. Homer nimmt die Abtreibung vor. Als Larch stirbt, kehrt Homer mit einer neuen Identität nach St. Cloud’s zurück, um Gottes Werk und Teufels Beitrag fortzusetzen.

Das Buch wurde mit Tobey Maguire, Charlize Theron und Delroy Lindo in den Hauptrollen verfilmt.

Wichtige Charaktere

  • Dr. Wilbur Larch, Gynäkologe
  • Homer Wells, Waisenjunge
  • Candy, Homers Liebste
  • Wally, Candys Mann
  • Angel, Homers und Candys Sohn

Interpretation

Irving bezieht in die Entwicklungsgeschichte des Waisenjungen Homer Wells eine Fülle von anderen Themen mit ein: das Für und Wider bei Abtreibungen, die Lebensbedingungen der Erntehelfer, die Suche nach einer starken Vaterfigur, die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und vieles mehr. Die Schilderung der Abtreibungen in dem Roman sind teilweise sehr drastisch. Der Leser kann die Einstellung des Autors zu Schwangerschaftsabbrüchen klar erkennen, sie wird ihm jedoch nicht aufgedrängt. Das Für und Wider der Entscheidung einer Frau wird sachlich behandelt, aber die Sozialkritik tritt deutlich zutage. In den USA wird die Freiheit des Einzelnen sehr hoch eingeschätzt, aber Abtreibungen sind illegal. Dadurch wird auf Frauen viel Gewalt ausgeübt.

Der Romantitel lautet im englischen Original „Cider House Rules“ und bezieht sich auf die Regeln, die im Cider-Haus aushängen. Dort leben die Pflücker während der Ernte, und dort werden die Äpfel gepresst. Diese Regeln lassen sich auf alle Regeln übertragen, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Es gibt Regeln, die man sich selbst auferlegt und einzuhalten versucht. Aber es gibt immer wieder Fügungen des Schicksals, die es notwendig machen, diese Regeln zu brechen. Das wahre Leben lässt sich nicht reglementieren, vor allem nicht von Menschen, denen die jeweiligen realen Lebensverhältnisse verborgen bleiben.

Eltern-Kind-Beziehungen sind eines der Hauptthemen in Irvings Romanen, er gewinnt ihm immer wieder andere Facetten ab. Seine Art der Darstellung von skurrilen Charakteren, sexuellen Beziehungen und Vorgängen, die eine große Sachkenntnis erfordern, gleichen einem Kaleidoskop von „prallem“ Leben und kennt keine Tabus.

Zitate

„‚(…) Eine schreckliche Phase seines Lebens täuscht sich der Heranwachsende selbst; er glaubt, er könne die Welt austricksen. Er glaubt, er sei unverletzlich. Für einen Heranwachsenden, der in dieser Lebensphase Waise ist, besteht die Gefahr, nie erwachsen zu werden'“

„Man musste sie nur kennen, um zu wissen, daß sie keine Candy war; sie war lieblich, aber nicht auf falsche Art süß, sie war eine große, natürliche Schönheit, keine Schmeichlerin der Menge. Sie verkörperte eine ganz und gar praktische Verantwortlichkeit, war höflich, energisch und kam im Streit auf den Punkt, ohne je schrill zu werden. Sie beklagte sich nur über ihren Namen, trug ihn aber mit Humor (nie hätte sie die Gefühle ihres Vaters – oder die eines anderen Menschen – leichtfertig verletzt). Sie vereinigte in sich offenbar ihres Vaters frohe Bejahung der Arbeit mit der Bildung und Vervollkommnung , die er ihr ermöglicht hatte – sie ging Arbeit wie geistige Verfeinerung mit großer Leichtigkeit an.“

Trailer zum Film

 

Persönliche Bewertung

Die Sprachgewalt des Autors macht diesen Roman zu einer literarischen Ausnahmeerscheinung

5 von 5

John Irving hat mit diesem 1985 erschienenen Roman ein zutiefst menschliches und bewegendes Buch geschrieben. Einzig die Liebesgeschichte zwischen Homer und Candy bleibt ein wenig blass, die Darstellung des Dreiecksverhältnisses, in dem sich Candy bewegt, ist hingegen sehr gelungen. Irvings große schriftstellerische Meisterschaft zeigt sich in Figuren wie Wilbur Larch oder in Melony, dem unglaublichen Waisenmädchen, das Homer die Unschuld raubt. In allen Büchern Irvings mischen sich die sehr realistischen, fast schon naturalistisch anmutenden Beschreibungen von Lebensumständen mit viel Fantasie, überbordendem Humor und hemmungsloser Fabulierkunst. Seine Bücher sind spannend, und auch „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ gehört zu den Romanen, die man nicht aus der Hand legen mag – so sehr wächst einem besonders Homer Wells ans Herz. Irving hat eine Vorliebe für dominante Frauen, auch dies zeigt sich erneut in diesem Roman.

Im Buch wird das Amerika der 30er- bis 50er-Jahre lebendig: Das Leben der Apfelpfücker, die Dramen der ungewollt schwangeren Frauen oder Attraktionen wie das Autokino – eine mitreißende Mischung bis hin zu Themen wie Missbrauch, latente Homosexualität und Behördenwillkür durchziehen alle Handlungsstränge und unterhalten im besten Sinne. Irving ist ein wirklich erstklassiger Rechercheur, er hat sich im medizinischen Fachgebiet Gynäkologie schlau gemacht und auch im Milieu der Apfelpflücker. Selbst wenn man manchmal schlucken möchte, faszinieren die detaillierten und genauen Beschreibungen auch so schrecklicher Vorgänge wie einer Abtreibung immer wieder aufs Neue.

Die Entwicklung des jungen Homer wird nachvollziehbar ausgeführt und wirkt sehr glaubwürdig. Man kann sich als Leser mit ihm identifizieren und sich in ihn hineinversetzen. Die Liebe zu Candy und zu ihrem gemeinsamen Sohn lässt ihn 15 Jahre an ihrer Seite und doch nicht an ihrer Seite ausharren. Das ist eine Leistung, die kaum jemand vollbringen würde. Der Autor erzählt liebevoll von den Schauplätzen seiner Heimat Maine, und seine Sprachgewalt macht auch diesen Roman zu einer literarischen Ausnahmeerscheinung, die man nur rundherum empfehlen kann.

Fazit

Ein Roman von John Irving, der wie viele seiner Bücher niemanden gleichgültig lassen dürfte.

Originaltitel
The Cider House Rules
ISBN10
3257218370
ISBN13
9783257218374
Dt. Erstveröffentlichung
1988
Taschenbuchausgabe
848 Seiten