Ihr schafft mich! – Wie andere dein Leben bestimmen
Und wie du dein Leben selbst bestimmen kannst
Zusammenfassung zu “Ihr schafft mich! – Wie andere dein Leben bestimmen”
In 20 Kapiteln auf gut über 200 Seiten geht es um die menschliche Gesellschaft, wie sie funktioniert, warum sie funktioniert und was das alles mit einem selber zu tun hat. Jedes Kapitel ist in mehrere Teile mit Zwischenüberschriften untergliedert und wird von Cartoons begleitet. Die Themen sind dabei unter anderem Regeln, Normen, Gerechtigkeit, Normalität, der freien Wille, Tabus, Ethik, Moral, Sozialisation, die Leistungsgesellschaft, Gesetze, das Töten, Wahlen, Politikverdrossenheit oder die alternde deutsche Bevölkerung. In einem Vorwort beschreibt der Autor humorvoll seine Absichten mit dem Buch, am Ende findet sich ein kurzes Register der wesentlichen Schlagworte und ein Quellenverzeichnis.
Zitate
„Fürs Anziehen gibt es also Regeln. Allerdings hat es heutzutage selten schlimme Folgen, wenn man in die falsche Hose oder das falsche Hemd schlüpft. Vielleicht kommt man nicht in den Club, in den man eigentlich möchte, vielleicht wird man komisch angeschaut. Aber wesentlich härter trifft es normalerweise niemanden, wenn er das Falsche anhat. Das war viele Jahrhunderte lang quer durch Europa ganz anders. Sogenannte Kleiderordnungen legten schriftlich fest, wer was anziehen durfte und wer nicht. Darin war beispielsweise genau geregelt, wie hoch die Hauben sein durften, die Frauen auf dem Kopf trugen.“
„Bemerkenswert ist auch, dass der Verstoß gegen die oberste Regel im menschlichen Zusammenleben – ‚Töte keinen andere!‘ – immer wieder ausdrücklich erlaubt wird. Eine ganze Reihe von Staaten, die als durchaus zivilisiert gelten, halten es für angebracht, ihre Bürger in bestimmten Fällen umzubringen. In den USA beispielsweise tötet der Staat Bürger dann, wenn sie selbst jemanden getötet haben. Die Todesstrafe gilt dort als gerechte Strafe für den, der jemand anderem den Tod zugefügt hat. In China beispielsweise müssen auch Beamte, die sich bestechen lassen, damit rechnen, vom Staat getötet zu werden.“
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Persönliche Bewertung
Crashkurs Gesellschaftskunde in verständlicher Sprache und bissigen Cartoons
Schon im typografisch auffälligen Vorwort wird deutlich, dass sich Nikolaus Nützel direkt und ohne verklausulierte Formulierungen an seine Leser wendet, die in erster Linie Teenager sein dürften. So ist „Ihr schafft mich!“ auch kein Fachbuch für ein Fachpublikum, sondern vielmehr ein Sachbuch mit vielen Beispielen aus der Praxis, verständlich und erklärend geschrieben. Zwar sind aktuelle Geshehnisse, die er aufgreift, wie etwa die Occupy-Bewegung oder Philip Rösler längst wieder Geschichte, zeugen aber von seiner Nähe zum Publikum und geben später ein interessantes Zeitkolorit ab. Bereits im Vorwort bietet er seinen Lesern die Möglichkeit an, bei bestimmten Wissenslücken einfach mal im Internet bei Wikipedia nachzuschauen.
Im gesamten Buch geht es um das Hinterfragen, das Fragenstellen und das eigene Nachdenken über gesellschaftliche Zustände und Gegebenheiten. Dabei nimmt der sympathische Autor kein Blatt vor den Mund, er nimmt die Zielgruppe ernst, sie liegt ihm am Herzen und das wirkt sehr authentisch. Zwar ist er ein Erwachsener, aber er nutzt seinen Wissens- und Erfahrungsvorsprung nicht dafür, sich von den Jugendlichen abzugrenzen, sondern ihnen Hilfestellungen anzubieten, ihnen einen Wegweiser durch die Komplexität der Gesellschaft und der eigenen Sozialisation zu geben. Seine eigene Meinung schimmert immer wieder durch, so etwa, wenn er Wachstum kritisch betrachtet, Schulnoten hinterfragt oder auf Distanz zu Soldaten geht.
Mit vielen Fallbeispielen, die er sich ausdenkt und deren Darstellern er fiktive Namen gibt, handelt er ein ums andere Thema ab. Dabei bekommt der Leser interessante Fakten geboten und erfährt historisch und kulturell verschiedene Regelungen für bestimmte Dinge wie etwa die Kleiderordnung. Manchmal vermisst man ein wenig den roten Faden, der alles zusammenhält, zu sprunghaft und schnell wechseln die vielen Themen, die einem in diesem Buch begegnen. Kant, die Spieltheorie, Freud, soziale Systeme, freier Wille oder gesellschaftliche Konstruktionen – dabei kann das Buch nicht zu sehr in die Tiefe gehen, kratzt jedoch genügend an der Oberfläche, um den Leser zum weiteren Nachdenken und Nachforschen zu motivieren. Die eingestreuten Infokästen helfen bei komplexeren Definitionen von Begriffen, wären zum Nachschlagen der Einfachheit halber allerdings am Ende des Buchs sinnvoller gewesen.
Nützel schreibt bei allem nicht nur informativ, sondern auch amüsant – von staubtrockener Theorie ist das Buch weit entfernt. Trotz der vielen Themen vermisst man das derzeitige Trendthema „Veganismus“, was sicherlich gerade bei der Zielgruppe Sinn gemacht hätte, fordert es doch zum Nachdenken über das eigene Essverhalten auf. Leider schreibt Nützel lediglich über kulturelle und historische Unterschiede beim Essen, so etwa von der Maikäfersuppe. Auch bei einem anderen angeschnittenen Punkt, dem Thema „Punks“ hätte man sich eine reflektiertere Darstellung gewünscht. So wird nicht hinterfragt, was Punk in seiner ursprünglichen Definition eigentlich bedeutet – weit entfernt von dem, was man auf dem Bahnhofsvorplatz, in der Fußgängerzone oder im Modekatalog darunter versteht.
Das Buch wird immer wieder gelungen mit Cartoons von „Rattelschneck“ angereichert, die teils bitterböse und überspitzt den Inhalt kommentieren. Auch wenn sich das Buch vornehmlich an Jugendliche richtet, wäre es für die Gesellschaft von Vorteil, es würde auch so manch Erwachsener lesen. Nützel zeigt in seinem Buch das ein oder andere gesellschaftliche Problem auf, verzichtet aber auf konkrete Lösungsansätze. Vielmehr schließt er das Buch mit dem Hinweis an den einzelnen Leser ab, er könne durch sein Verhalten dazu beitragen, selbstbestimmter zu Leben und somit andere zu beinflussen statt selber beeinflusst zu werden. Dieser Ratschlag ist bei aller Komplexität wahr, erfordert gerade in der Peergroup aber Mut zum Anderssein und beinhaltet die Gefahr, bei unpopulären Meinungen und Verhaltensweisen als Einzelgänger zu enden…
Fazit
Ein humorvolles und leicht verständlich geschriebenes Sachbuch über die Gesellschaft und das Individuum – ein Mikro-Makro-Soziologie-Grundkurs für Schüler, angereichert mit einer Prise Politik und Philosophie. Bestens für neugierige und kritische Leser und den Einsatz im Unterricht geeignet!
- ISBN10
- 357013847X
- ISBN13
- 978-3570138472
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2013
- Gebundene Ausgabe
- 224 Seiten
- Empfohlenes Lesealter
- Ab 12 Jahren