Der große Schneemann
Ein Bilderbuch aus dem Iran
Zusammenfassung zu “Der große Schneemann”
Nachdem die Kinder eines Dorfes ein ganzes Jahr auf Schnee gewartet haben, ist die Freude groß, als nach zwei verschneiten Tagen endlich genug Schnee für einen Schneemann gefallen ist. Die Kinder treffen sich auf dem großen Platz und fangen an zu bauen. Es soll der größte Schneemann werden, den die Kinder je gebaut haben. Trotz Hunger, Durst und eisiger Kälte bauen alle weiter und gehen nur nach Hause, um Accessoires für den Schneemann zu holen: ein Hut, einen Schal, Perlen für die Augen… Als der Schneemann fertig ist, sind die Kinder begeistert und holen ihre Eltern herbei. Am nächsten Morgen fängt der Schneemann plötzlich an zu leben und weckt mit seinem Gezeter das ganze Dorf auf. Ihn stört das Krähen der Krähen und er verlangt nach Essen und Eis zum Kühlen und vielem weiterem mehr. Die Bewohner sind so perplex, dass sie prompt die Anweisungen befolgen. Die Tage vergehen und die Befehle werden immer ausufernder. Als sich im Frühling die Sonne über den noch existierenden Schneemann wundert und das Dorf zur Rede stellt, merkt sie, wie sehr der Schneemann die Menschen mittlerweile beherrscht: Sie wollen die Sonne nicht sehen, wollen keinen Frühling und keinen wärmenden Sommer…
Wichtige Charaktere
- viele Kinder
- ein großer Schneemann
- die Bewohner des Dorfs
- die Sonne
Zitate
„Es ist lange her, da ereignete sich in einem fernen Dorf einmal eine eigenartige Geschichte…
Zwei Tage lang hatte es in dicken Flocken geschneit, und das ganze Dorf lag unter einer weißen Decke. Die Krähen wachten gerade erst auf, als sich die Dorfkinder bereits auf dem großen Platz versammelten. Ein ganzes Jahr hatten sie auf den hohen Schnee gewartet, jetzt wollten sie den größten Schneemann bauen.
Ihre Freude war groß!“
„Alle Kinder liefen eilig nach Hause, kamen aber bald wieder zurück. Sie hatten ihre besten Sachen für den Schneemann mitgebracht: einen neuen Schal, den schönen Hut des Dorfvorstehers, Schmuck, den alten Stock des Großvaters…“
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Persönliche Bewertung
Ein bedrückendes künstlerisches Zeitdokument des iranischen Alltags im Bilderbuch
Dem iranischen Bilderbuch merkt man nicht nur wegen seiner Illustrationen und der Geschichte seine Herkunft an, sondern auch aufgrund der für Europäer ungewohnten Lesweise von „hinten nach vorne“ sowie dem persischen Originaltext, der in einer farblich abgesetzten Fußzeile die deutsche Übersetzung von Nazli Hodaie begleitet. Das Buch, welches eine ernste, bedrohliche Geschichte über Herrschaft und Unterdrückung anhand eines Schneemanns erzählt, ist nicht so sehr wegen seines Inhalts, als vielmehr wegen seiner geglückten Übersetzung vor dem Hintergrund der politischen Lage im Iran als besonders zu bezeichnen.
Der Lesespaß kann daher nicht mehr als durchschnittlich ausfallen, zu bedrückend wird das Ganze, wenn man sich bei jedem Satz, bei jeder Seite bewusst macht, dass es sich um Regimekritik im Bilderbuch handelt: „Die Menschen im Dorf befolgten die Befehle. Sie dachten gar nicht daran, dass Schneemänner eigentlich gar nicht befehlen können und dass man sich nicht herumkommandieren lassen sollte.“ Inwieweit der persische Originaltext ebenso deutlich sein Anliegen formuliert wie die deutsche Übersetzung, kann nur vermutet werden. Das Nachwort des Autors legt jedoch den Schluss sehr nahe, dass das Buch im Iran der Zensur standhalten und möglichst unverfänglich daherkommen musste. Seyyed Ali Shodjaie lässt die Handlung daher vorsorglich nicht im Hier und Jetzt spielen, sondern verlegt sie weit zurück in die Vergangenheit, in ein fernes Dorf. Sie ist selbstverständlich „eine eigenartige Geschichte“, die so nur in einer Art Märchen und bestimmt nicht im Iran passieren kann.
Leider endet die Geschichte doch sehr abrupt und man vermutet wiederum äußere Umstände dahinter. Die Seiten, die fehlen, sind die, die hätten zeigen können, wie sich die Bewohner aus ihrer Angststarre lösen und sich gegen ihren diktatorischen Herrscher zur Wehr setzen. Verständlicherweise musste die Geschichte durch einen Eingriff von außen ihr Ende finden, zudem mit der Sonne auf „natürliche“ Weise, womit die Bewohner keine „Schuld“ trifft. Sie haben keine Revolution angezettelt, sie wollten keinen „arabischen Frühling“. Das Nachwort des Autors macht betrübt, er schreibt vom Verstecken eigener Gedanken in Texten und darüber, wie sehr er sich freut, dass sie durch die Übersetzung gefunden werden können. Die Geschichte endet mit einem Satz, der angesichts der Verhältnisse im Iran (Wächterrat, keine Pressefreiheit, keine freien Wahlen, Folter, Todesstrafe usw.) an Ironie nicht zu übertreffen ist: „Wie gut, dass sich eine solche Geschichte nicht mehr wiederholen wird!“
Ein Bilderbuch definiert sich immer auch über Illustrationen. Seyyed Ali Shodjaie hat bei der ernsten Thematik auf ausufernde Details und bunt leuchtende Farben verzichtet. Zwar sind ihre Zeichnungen nicht farblos, sie wirken aber bis auf die wärmende gelblich-orangene Sonne recht trist. Während ihr das Titelbild famos geglückt ist, eine Art Kippbild in dem man erst auf den zweiten Blick den riesigen Schneemann erkennt, hätte sie im Inneren einiges besser machen können. Dabei sind nicht ihre interessanten im Picasso-Stil dargestellten Figuren gemeint, bei denen man von der Seite betrachtet dennoch zwei Augen sieht, oder ihre an Kinderzeichnungen erinnernden Häuser und Bäume, sondern vielmehr der nicht immer geglückte Bezug zur Geschichte. So fehlt nach der Fertigstellung des geschmückten Schneemanns seine Abbildung, auf der folgenden Doppelseite fehlt er gar ganz, und erst danach taucht er zum ersten Mal in seiner ganzen Gestalt auf, allerdings nie so, dass Kinder das Gesicht sehen könnten (vielleicht ist dies beabsichtigt, um nicht verfänglich zu wirken). Auch das spätere Schmelzen hätte sicherlich in einer Illustration festgehalten werden können. Stattdessen zeigt das letzte Bild den Schneemann mit Krähen, die er zu Beginn fortgejagt hat und die sicherlich ebenso wie die Schwalben von den Bewohnern verscheucht werden mussten. Immerhin zeugt der Drache, der von einem Mädchen am Ende im Himmel steigen gelassen wird, mit seinem unglücklichen Gesichtsausdruck treffend vom eigentlichen Gang der Geschichte im heutigen Iran.
Fazit
Ein Buch für persisch-deutsche Vorleser, was betroffen macht und im Kindergartenalter vermutlich für viele zu früh kommt, es sei denn man liest es als harmlose, „erfundene“ Geschichte vor. In der Grundschule oder später kann es, passend vorbereitet (warme Sonne vs. kalter Schneemann) im Kunstunterricht oder anderen Fächern vermutlich eher eingesetzt werden. Interessant sicherlich auch im Kunst- oder Geschichtsunterricht höherer Klassen. Wer sich einmal mit eigenen Augen anschauen will, wie aktuelle Regimekritik aus dem Iran in Bilderbuchform ausschaut, der findet mit „Der große Schneemann“ das passende Werk.
- Originaltitel
- What if the Snowman Won't Melt?
- ISBN10
- 3905804476
- ISBN13
- 9783905804478
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2013
- Gebundene Ausgabe
- 32 Seiten
- Empfohlenes Lesealter
- Ab 5 Jahren