Das Ende der Geduld

Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter

Autoren
Verlag
Herder Verlag
Anspruch
5 von 5
Humor
3 von 5
Lesespaß
4 von 5
Schreibstil
4 von 5
Spannung
4 von 5

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Zusammenfassung zu “Das Ende der Geduld”

Zwanzig Jahre arbeitete die Autorin dieses Buches, die kurz vor dem Erscheinungstermin verstarb, als Jugendrichterin in der Berliner Strafjustiz. Sie war bekannt als engagierte Richterin; als „Richterin Gnadenlos“. Ein Zerrbild. Ziel von Kirsten Heisig, die hauptsächlich Strafverfahren gegen junge Menschen in den Berliner Bezirken Friedrichshain und Neukölln bearbeitete, war es zum einen, zur Reduzierung der Jugendkriminalität beizutragen und zum anderen aber auch, den jungen Menschen, die sich vor Gericht zu verantworten hatten, mit den Mitteln des Rechts- (und Sozial-) Staates, eine weitere Chance zu eröffnen, ein Leben ohne Straftaten zu führen. Den Entschluss, das vorliegende Buch zu schreiben, fasste die Richterin aus Berufung, als das Gefühl in ihr übermächtig wurde, diesen Zielen nicht mehr gerecht werden zu können. „Das Ende der Geduld“ ist eine schonungslose – und dabei doch sehr warmherzige, mitfühlende – Bestandaufnahme, die auf eine schleichende Brutalisierung in den Köpfen der heute heranwachsenden Kinder und Jugendlichen verweist. Um diesen Eindruck zu veranschaulichen, stellt die Autorin einzelne Lebensläufe, die sich daraus ergebenden Straftaten und auch die daraus folgenden Reaktionen des Rechtsstaates dar – wobei Letzterer in ihren Augen hoffnungslos versagt. Eingeleitet wird das Buch mit dem Kapitel „Jugendkriminalität – Fallbeispiele und Statistiken aus zwei Jahrzehnten“. Kirsten Heisig weist in diesem Kapitel die zunehmende Brutalisierung nach und zeigt auf, wie diese durch die Statistik verschleiert wird. Das Kapitel „Der Jugendrichter – Zuständigkeiten, Möglichkeiten, Grenzen“ erlaubt einen Blick hinter die Kulissen des Rechtstaates und zeigt vor allem dessen Grenzen im Kampf gegen die Jugendkriminalität auf. Hier wird ein Versagen des Staates offenbar. In den beiden folgenden Abschnitten des Buches „Die Gewaltdelikte der „Rechten“ und „Linken“„ und „Die Intensivtäter – und Jugendliche die es werden“ erfolgt eine Bestandsaufnahme der Straftaten einzelner Gruppen, die sich erschütternd liest, und dabei ein großes Ausmaß an Problemen aufzeigt, für die es allesamt keine Lösungen zu geben scheint. Aber die Autorin sucht nach Lösungen, in dem sie in andere Länder schaut („Wie machen es andere? Eine länderübergreifende Betrachtung“) und zudem das „Neuköllner Modell“ und die „Task-Force Okerstraße“ – TFO“ entwickelt.

Zitate

„Deutschland ist als kinderarmes Land besonders auf Zuwanderer und ihre Kinder angewiesen.“

„Ich habe vor kurzer Zeit außerhalb des Gerichts ein Gespräch mit einem jungen Mann geführt, der aus einer türkischen Familie stammt. Er ist mehrfach verurteilt worden. Zuletzt verbüßte er eine mehrjährige Jugendstrafe wegen Kokainhandels. Seine beiden Brüder sitzen gegenwärtig langjährige Strafen ab. Mein Gesprächspartner hat bestätigt, dass seine Kindheit durch massive körperliche Übergriffe seitens beider Eltern geprägt war. Sie banden ihn im Badezimmer an Heizungsrohre, verbrannten seine Haut mit glühenden Häkelnadeln und schlugen ihn mit dem Kopf auf einen scharfkantigen Gegenstand, als er einen Gegenstand verschluckt hatte. Seine Verletzungen waren für alle sichtbar. Nur ein einziges Mal wurde darauf reagiert. Eine Sportlehrerin sah die Hämatome und schaltete sofort das Jugendamt ein. […] Der Junge kam für einen Monat in ein Heim. Er verbrachte dort die einzige Zeit seiner Kindheit, in der er nicht verprügelt wurde. Dann gelobten die Eltern Besserung, bekamen das Kind zurück, und alles ging von vorne los. Ich habe ihn gefragt, ob das Schlagen der Kinder bei den Türken verbreitet sei, was er erstaunt bejahte, da diese Tatsache ihm allgemein bekannt erschien. Alle wissen alles, aber den Eltern die deutschen Behörden auf den Hals zu hetzen, kommt für die Türken den Ausführungen des Mannes zufolge nicht in Betracht. […] Wir leben in einer Gesellschaft, in der an Problemen bewusst vorbei geschaut wird: aus Tradition seitens der Zuwanderer, aus Bequemlichkeit und Angst seitens der Deutschen.“

„Insgesamt scheint der Ansatz Oslos in der Bekämpfung der Jugendkriminalität erfolgreich zu sein. […] Jedoch: Was Norwegen finanziell hiefür investiert, kann wahrscheinlich nicht von jedem europäischen Land geleistet wreden, das mit ähnlichen Problemen konfrontiert wird. Außerdem ist das Kriminalitätsproblem in Norwegen noch nicht so gravierend wie in Deutschland. Mit sechs Haftplätzen für jugendliche Straftäter käme keine Großstadt in Deutschland aus.“

Persönliche Bewertung

Ein mutiges Buch, das einen tiefen Blick in deutsche Parallelwelten gestattet.

4 von 5

Ein mutiges Buch! Eine in ihrer nüchternen Betrachtungsweise erschütternde Bestandaufnahme, die unter allen präsentierten Fakten und Brutalitäten doch ein hohes Maß an Warmherzigkeit und Engagement verrät. Hier schreibt ein Mensch über seine Alltagserfahrungen, der noch nicht abgestumpft ist und sich in seiner alltäglichen Arbeit bemüht, das Ruder vielleicht doch noch herumreißen zu können. Wenngleich er weiß, dass wahrscheinlich auch dieses Buch nicht helfen wird. Zumindest wurde das von Kirsten Heisig entwickelte „Neuköllner Modell“ vom Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky umgesetzt. Auch andere Städte interessieren sich mittlerweile dafür. Also hat die in Buchform erhobene Stimme der „Richterin Gnadenlos“, die ein Stück weit an den ihr gesetzten Grenzen und ihrem tiefen Mitgefühl verzweifelte, doch noch einen realen Widerhall gefunden. Dem Leser sei das Buch nur empfohlen, wenn er die Kraft hat, einen Blick in Parallel-Welten zu werfen, die die Deutschen aus „Bequemlichkeit und Angst“ allzu gerne ausblenden. Natürlich erklärt dieses Buch auch, warum es eher nicht ratsam ist, seine Kinder auf die „falschen“ Schulen zu schicken, aber allein das ist ja auch schon eine Tatsache, über die nur unter der Hand geredet wird. Wie anfangs schon erwähnt: ein mutiges Buch!

Fazit: Ein mutiges Buch, das einen tiefen Blick in deutsche Parallelwelten gestattet und versucht einen Ausweg aus der Misere zu finden. Geschrieben mit warmherzigem Engagement und „gnadenloser“ Aufrichtigkeit.

ISBN10
3451302047
ISBN13
9783451302046
Dt. Erstveröffentlichung
2010
Taschenbuchausgabe
205 Seiten