Braune Erde

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Verlag
Bloomoon Verlag

Zusammenfassung zu “Braune Erde”

Bütenow, ein Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Die Hälfte der Häuser steht leer, wer geblieben ist, hat mit dem Leben abgeschlossen, ist mutlos und ziellos. In dieser Kulisse wächst Ben bei seiner Tante und seinem Onkel auf. Seine Eltern sind gestorben, in seiner neuen Familie wird er nur geduldet, Freunde hat er keine. Als zwei neue Familien ins Dorf ziehen und das alte Gutshaus herrichten wollen, sind die Dorfbewohner skeptisch, denn Fremden gegenüber ist man misstrauisch, möchte sie eigentlich nicht im Dorf haben. Doch vor allem Reinhold und Uta ziehen die Menschen schnell auf ihre Seite, organisieren das Dorfleben neu, fördern die Gemeinschaft, kümmern sich um die Alten und Kranken und schüren die tief in den Dörflern verwurzelten Vorurteile und Schuldzuweisungen. Ben findet in ihnen eine neue Familie, in  der er sich geborgen fühlt und wo er geschätzt und ernst genommen wird. In den Zwillingen Gunter und Konrad glaubt er neue Freunde gefunden zu haben, ihre Begeisterung für Waffen aus dem Zweiten Weltkrieg kommt ihm nicht seltsamer vor als die Kriegsspiele am Computer, mit denen seine Mitschüler sich beschäftigen.

Zunehmend erlebt Ben die Gewaltbereitschaft der Zwillinge, lernt ihre seltsamen Freunde kennen und wundert sich über die politische Einstellung der beiden Familien. Im Dorf verschließt man dagegen weiterhin die Augen, es wird eine gewaltbereite Bürgerwehr gegen die „Gefahr“ aus Polen organisiert, eine Volkstanzgruppe gegründet. Auch Ben äußert seine Skepsis nicht und fährt stattdessen mit den Zwillingen nach Berlin, um an einer Demonstration teilzunehmen, wo sie ein Transparent des „Nationalen Widerstandes“ tragen. Die Nacht verbringt Ben mit Renée aus der „Autonomen Mädelschar Berlin“. Da Wotan, der Anführer, Besitzansprüche auf sie anmeldet, handelt sich Ben Ärger ein. Für Gunter ist er ein Verräter, Wotan schreibt ihm Droh-E-Mails. Auch im Dorf spitzt sich die Lage zu, als auf der von Uta und Reinhold organisierten Wintersonnenwend-Feier militante Skinheads auftauchen und die Zwillinge eine Bücherverbrennung organisieren. Die Dörfler sind zwar verschreckt und verunsichert, tragen den „Neuen“ jedoch kaum etwas nach, schließlich sei keiner zu Schaden gekommen. Nur der Künstler Georg, Bens alter Freund, stellt sich gegen die deutschtümelnden Ideen, gegen die Volksverhetzung. Mit seinen aufklärenden Artikeln in der Zeitung macht er sich im Dorf keine Freunde und bringt nicht nur sich selbst in Lebensgefahr…

Wichtige Charaktere

  • Benjamin
  • seine Cousine Veronika und sein Cousin Ronald
  • Tante Jeske und Onkel Rolf
  • Georg
  • die Zwillinge Gunter und Konrad
  • Freya und Uta
  • Hartmut und Reinhold
  • Wotan und Renée
  • Brüggemann
  • Aglaia

Zitate

„‚Sieh dich doch um‘, nahm Reinhold den Faden wieder auf. ‚Dieses Land geht den Bach runter. Allein schon euer Dorf. Halb leer, runtergekommen, die Menschen arbeitslos. Und die Politiker interessieren sich nicht dafür, weil sie sich lieber die Taschen vollmachen. Wir Deutsche haben uns verkauft. Wir vergessen unsere Geschichte, unsere Traditionen, unsere Kultur.‘ Seine Stimme war lauter geworden. ‚Alles ist schäbig und billig. Und wir sollen nur konsumieren und die Schnauze halten. Aber das wollen die Menschen nicht mehr.‘ Er beugte sich wieder vor, wobei er seinen Löffel schwang wie einen Taktstock. ‚Glaubst du, das wird noch lange gut gehen? Die Leute werden wütend, sie haben Angst.'“

„Der Schnee hatte das Dorf überschwemmt, nur die Dächer erhoben sich wie tote Fische, die auf dem Rücken schwammen, aus der weißen Flut. Manche gaben noch ein Lebenszeichen von sich; Rauch stieg aus ihren Schornsteinen als dunkle Säule auf.“

Persönliche Bewertung

Ein gut recherchiertes, beängstigendes und aufwühlendes Buch mit einigen logischen Ungereimtheiten

4 von 5

Dieses Buch ist alles andere als Unterhaltungslektüre. Lesespaß kann ein solches Thema bei keinem kritischen Menschen mit Gerechtigkeitsempfinden auslösen. Stattdessen läuft es einem kalt den Rückern hinunter, man findet sich fassungslos, entsetzt, wütend und abgestoßen. Denn obwohl die Geschichte ausgedacht ist, der Inhalt ist keine Fiktion. Autor Daniel Höra hat für dieses Buch gut recherchiert, und wer sich ein wenig mit der Thematik verschiedener rechtsextremistischer Strömungen befasst hat, erkennt einiges wieder an Symbolik, Parolen und äußerem Erscheinungsbild. Doch dem Autor ist nicht nur eine gründliche Recherche zu bescheinigen, er zeigt auch, dass er ein guter Schriftsteller ist. So finden sich trotz des ernsten Themas verschiedene äußerst gelungene Metaphern im Buch. Auch versteht es Höra, sich in die Sprache der beschriebenen Szene hineinzudenken. Wotans Droh-E-Mails zum Beispiel wirken ebenso authentisch wie beängstigend.

In „Braune Erde“ geht es um die Frage, wie sich rechtsextremistische Gedanken unter dem Deckmantel der Zusammengehörigkeit und der Hilfsbereitschaft und vor dem Vorzeichen der Hoffnungslosigkeit verbreiten können. Höra beschreibt gut, wie die menschenverachtende Philosophie der Nazis sich hinter Ideen von Gemeinschaft und alternativem Leben (Biolandwirtschaft, alternative Heilmethoden, heidnische Bräuche – wohlgemerkt ist nichts davon per se Nazi-Ideologie, wird jedoch von bestimmten Strömungen gern aufgegriffen) versteckt und sukzessive zum Vorschein tritt. Interessant sind auch die verschiedenen Formen, die der Rechtsextremismus in den Charakteren annimmt: Von sentimental-verklärter Deutschtümelei mit Heimatmusik und ultrakonservativen Geschlechterklischees bis hin zu aggressiver Hetzmusik, bewaffneten Skinheads und offener Zurschaustellung von Hakenkreuzen.

Einige Ungereimtheiten in Charakteren und Aufbau der Handlung finden sich dennoch. So ist es verständlich, dass der Autor dem Schrecken der Geschichte, insbesondere angesichts der Zielgruppe, ein einigermaßen positives Ende entgegensetzen wollte, doch genau das wirkt nach der Charakterisierung der Personen und der Dorfgemeinschaft an sich wenig realistisch und stimmig. Nachdem Höra gut dargestellt hat, wie sich die unterschwelligen Vorurteile und ausländerfeindlichen Tendenzen der Dörfler durch die Neuankömmlinge bestätigen, wie die Verhetzung auf einen gut gedüngten mentalen Nährboden trifft, erscheint es mehr als fragwürdig, dass dieselben Menschen anschließend, nach der Verhaftung der „bösen Nazis“, ein „Aktionsbündnis gegen Rechts“ gründen. Sind es doch eben diese vorurteilsbeladenen, frustrierten Menschen mit mehr als beunruhigenden Weltbildern, die rechtsextremen Fanatikern wie den Familien von Uta, Reinhold und Hartmut ein Forum bieten und sich auch von den offensichtlichsten Anzeichen für das Nazi-Gedanken“gut“ nicht verunsichern lassen.

Auch der Hauptcharakter wirkt mehr als zweifelhaft. Dass er sich den neuen Familien anschließt, endlich ein Zuhause gefunden zu haben glaubt und ein leichtes Opfer für die Anbiederungen ist, erscheint plausibel. Dass ein 15-jähriger jedoch trotz vieler glasklarer Hinweise (SS, „Endkampf“, Reichskriegsflagge, Holocaustverleugnung, Glorifizierung des Dritten Reichs, Autonome Nationale, Songtexte wie „Terror in Kanackenland“ und 88 als Abkürzung für „Heil Hitler“ – hierauf wird er sogar mit der Nase gestoßen!) sich noch immer nicht eingestehen möchte, sich mit gewaltbereiten Nazis angefreundet zu haben, wirkt wenig realistisch. Schwierig ist auch, dass Ben in seiner Rolle als Ich-Erzähler weit davon entfernt ist, ein Sympathieträger zu sein. So wirken nicht nur die kranken Weltbilder der beiden Nazi-Siedlerfamilien brechreizerregend, auch Ben weckt vorrangig Ungeduld und Ärger über die grenzenlose Naivität, seine Duldung der Nazis und seine Wegschaumentalität, die an den Katastrophen im Buch mitschuldig ist.

Zudem bleiben die Folgen der Gewalt, mit der sich Ben auf der Demo in Berlin konfrontiert sieht (Schlag mit einer Stange und Fußtritt ins Gesicht), unerwähnt und scheinen für die Romanfigur nicht zu gelten. Wer schon einmal selbst Opfer von körperlicher Gewalt wurde und dies vorher nicht kannte, kann bestätigen, dass nach dem Schock die Schmerzen eintreten. Vor diesem Hintergrund wirkt Bens Nacht mit Renée fehl am Platz.

Höra erzählt die Geschichte in chronologischer Reihenfolge, stellt den Kapiteln jedoch auf geschickte Weise jeweils eine Rückblende voran, in der sich Ben auf der Flucht befindet. Was genau geschehen ist, bleibt lange unklar, deutlich wird nur: Bens Verhältnis zu den beiden Siedlerfamilien hat sich drastisch gewandelt, er muss nun sogar um sein eigenes Leben fürchten. Der Roman zieht seine Spannung nicht daraus, dass der Leser und die Leserin im Unklaren über die Einstellungen der Hinzugezogenen bleiben. Dem mündigen Leser ist nicht nur nach Titel und Klappentext vollkommen klar, was dem kleinen Dorf droht und welche krankhaften Ideen sich dort breitmachen. Die hohe Spannung rührt eher von einem ansteigenden Gefahrenpotenzial für den Hauptcharakter und den Künstler Georg her. Die Handlung spitzt sich immer weiter zu, die Grauen und Verbrechen erfahren zunehmend Steigerungen. Wie das Dorf und der Hauptcharakter aus der beklemmenden Geschichte herauskommen, ist bis kurz vor Ende der Geschichte unklar. Zwar erscheint das eine oder andere klischeehaft und überspitzt (der Autor scheint einen Fokus darauf gesetzt zu haben, eine Vielzahl an Informationen in seiner Geschichte zu verarbeiten), man nimmt dies dem Buch jedoch kaum übel. Nur das etwas abrupte Ende und die kaum plausible massive Naivität und Verdrängung angesichts der Entwicklungen erscheinen sehr fraglich.

Es wäre hilfreich gewesen, die Geschichte durch ein Nachwort zu begleiten, das die benannten geschichtlichen Ereignisse und Personen erklärt bzw. darüber aufklärt, was sich – im Unterschied zu den von den Siedlern vertretenen Thesen – wirklich zugetragen hat. Auch wäre wünschenswert gewesen, klar in einem Nachwort abzugrenzen, welche Eigenschaften und Attribute tatsächlich immer der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen sind und was auch in anderem Kontext zu finden ist und nicht zwangsläufig eine Naziverbindung bedeuten muss, um keine falschen Vorurteile zu schüren (Stichwort unpolitische Skinheads, Biolandwirtschaft und heidnische Bräuche).

Fazit

Ein gut geschriebenes und wichtiges Buch, das informiert, betroffen und wütend macht. „Braune Erde“ erinnert daran, dass menschenverachtende Gedanken und abstoßende Gesinnungen nach wie vor Realität sind und was davon die Medien erreicht, meist nur einen Bruchteil der tatsächlichen Verbrechen darstellt.

ISBN10
3845803355
ISBN13
9783845803357
Dt. Erstveröffentlichung
2012
Taschenbuchausgabe
208 Seiten
Empfohlenes Lesealter
Ab 14 Jahren