Ausflug mit Urne

Autoren
Übersetzer
Regine Pirschel
Verlag
Blessing Verlag

Zusammenfassung zu “Ausflug mit Urne”

Mehr gezwungener Maßen als freiwillig tritt Teemo mit seinem Bruder Janne eine Reise durch Finnland an, um zur Nachlassverkündung des kürzlich verstorbenen Stiefgroßvaters Jalmari zu kommen. Die gemeinsame Zeit im Auto bringt mit der Zeit die Vergangenheit der beiden vermeintlich so verschiedenen Brüder zum Vorschein. Der ältere Bruder Teemu arbeitet heute als Versicherungsmathematiker, versucht sein Leben unter Kontrolle zu halten, indem er jeder Überraschung, jedem Abenteuer soweit wie möglich aus dem Weg geht und hat es aufgegeben noch viel von seinem Leben zu erwarten.

Janne hingegen war immer der Unbezähmbare von ihnen, der die Schule abbrach und seine Jugend mit Gelegenheitsjobs, Frauen und zu viel Alkohol verbrauchte. Nachdem ihre Mutter starb, gab es niemanden mehr, der die beiden Brüder zusammenhielt und sie verloren sich aus den Augen. Die gemeinsame Reise mit Jalmari in der Urne auf dem Rücksitz führt Teemu langsam aber sicher vor Augen, dass sich Menschen – sogar sein kleiner Bruder Janne – weiterentwickeln und ändern können. Und das Erinnerungen etwas sehr Subjektives sind, besonders die der Kindheit.

Während sie auf der Fahrt immer mehr skurrile Situationen durchleben und sich die Vergangenheit auf den Kopf stellt, nähern sich die Brüder langsam wieder einander an. Teemu beginnt zu erkennen, dass kein Mensch fehlerfrei durchs Leben kommt und die Schuld an der Vergangenheit auch ihn selbst trifft. Nicht zuletzt die gemeinsamen Gefühle für Jannes Exfrau Elli, verdeutlichen den Brüdern ihr untrennbares Band und lässt sie wieder eine gemeinsame Zukunft erkennen…

Wichtige Charaktere

  • Teemu
  • Janne
  • Elli
  • Jalmari

Zitate

„Auf jeden Fall war sein Kommentar so deftig, dass ich nicht antwortete. Meine Arbeit ist absolut ehrenwert, angesehen und für die Gesellschaft nützlich. Was man von Jannes Treiben nicht behaupten kann. Für ihn war Arbeit nie ein Wert an sich, sondern nur ein Mittel, um Geld zu verdienen, mit dem er vor allem seine unmittelbaren Bedürfnisse befriedigt, die bei ihm mit den Körperfunktionen zusammenhängen.
‚Du solltest mit Vater Kontakt halten‘, sagte er, angelte nach dem Rucksack hinter sich und stieß dabei Jalmari an, sodass er beinah heruntergefallen wäre. Ich sah meinen Bruder verärgert an; mir ist schleierhaft, wie es in ein und derselben Familie so unterschiedliche Menschen geben kann. Stattdessen verstand ich jetzt, worauf er mit den gleitenden Moralvorstellungen anspielte – auf meine Meinungsverschiedenheiten mit unserem Vater. Die gingen ihn allerdings nichts an.“

„‚Hast Du gewonnen?‘
‚Ich wurde Vierter. Oder Letzter, wie man es nimmt. Aber die Skier waren toll, sie waren blau, von Karhu.‘
‚Ich gewann mit der alten Bindung die Schulmeisterschaft‘, sagte Janne. ‚Weil ich deine neuen Skier nicht ausleihen durfte.‘
Das war mir gar nicht mehr geläufig. Janne fing jedoch keine Diskussion an, sondernd erwähnte, dass ich mich als Kind für so vieles geschämt hatte. So war es wirklich, glaube ich. Ein Anlass zum Dauerschämen waren damals unsere Familienautos. Nie besaßen wir neue, so wie die Familien unserer Schulkameraden. Einmal kaufte Mutter sogar einen alten Citroën mit Stoffdach, was ungefähr dasselbe war, als würde man ohne Hose in die Schule gehen. All das hatte Janne offenbar nie gestört. Vielleicht hatte er gar nicht erkannt, wie wichtig das richtige Auto war. Er kleidete sich ja auch recht willkürlich. Ich versuchte ihn manchmal zu beraten, aber er lachte nur.
Scham ist eine merkwürdige Kraft, Wie kaum etwas anderes kann sie Berge versetzen. Oder würde Berge versetzten, wenn es nicht so verdammt peinlich wäre. Bei der Scham geht es immer um die Angst, dass man gar nicht durchschnittlich ist. Dass man das grellste Muster aus der Tapetenfabrik ist, das niemand haben will. Denn durchschnittlich zu sein hindert einen ja nicht daran, sich trotzdem für eine einzigartige und besondere Persönlichkeit zu halten, die nur zufällig die gleiche Mütze trägt, wie alle anderen.“

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Persönliche Bewertung

Über Männer und Familie, das Band zwischen Brüdern und die Unvorhersehbarkeit des Lebens

4 von 5

„Ausflug mit Urne“ ist ein sehr ruhiger Roman. Trotzdem ist er spannend zu lesen, passieren doch auf jeder Seite neue, unvorhergesehene Dinge, die den Leser gespannt das Ende der Reise erwarten lassen. Roope Lipasti verknüpft Gegenwart und Vergangenheit seiner Hauptfiguren geschickt zu einem abwechslungsreichen Erzählrahmen, innerhalb dessen der Leser auf mehreren Ebenen unterhalten wird. Die Rückblenden in die Vergangenheit der Familie lassen erst nach und nach ein Bild von der Beziehung der Brüder zu und der Leser muss immer wieder neu ausloten, welchen Gefühlen er trauen kann.

Gerade Teemu, der ältere Bruder, durchläuft während des Romans eine tiefe Veränderung, die authentisch beschrieben ist und so auch den Leser an der ein oder anderen Stelle sein Leben hinterfragen lässt. Einfühlsam wird die Figur des Teemus an die Erkenntnis herangeführt, dass Menschen und Situationen nicht bleiben wie sie sind, nur weil sie schon immer so waren. Mit beneidenswerter Präzision und einer Menge Sprachgefühl philosophiert sich Teemu durch alle alltäglichen und außergewöhnlichen Situationen in Vergangenheit oder Gegenwart. Hat dabei mal mehr und mal weniger überzeugende Erkenntnisse, bleibt aber durchgehend ein authentischer Charakter mit Fehlern und Eigenarten. Lipasti gelingt es die Sympathien des Lesers mal für den einen und mal für den anderen Bruder zu wecken, was die Erzählung sehr lebendig hält. Sein Erzählstil ist klar und unterstützt in seiner Einfachheit das ruhige Road-Geschehen.

Fazit

Ein schöner Roman für fast alle Altersklassen, der auf angenehme Weise zum Nachdenken animiert.

Originaltitel
Perunkirjoitus
ISBN10
3896675281
ISBN13
9783896675286
Dt. Erstveröffentlichung
2014
Gebundene Ausgabe
320 Seiten