Persönlichkeiten statt Tyrannen
Oder: Wie junge Menschen in Leben und Beruf ankommen
Zusammenfassung zu “Persönlichkeiten statt Tyrannen”
Es gibt nicht nur immer weniger junge Menschen, eine immer größere Anzahl von ihnen kann hinsichtlich Bildung und Reifegrad auch nur noch mit „nicht ausbildungsfähig“ etikettiert werden. Die Ausbildungsreife nimmt zunehmend ab, und das ist kein vages Gefühl, frei nach Devise, die Jugend konnte den Alten schon immer nichts recht machen, sondern es handelt sich um eine statistisch nachweisbare Tatsache. Und Winterhoff macht sich in einem weiteren „Tyrannen-Buch“ daran, die Ursachen für diese Misere zu identifizieren und versucht zugleich, Ausbildern und Lehrern, aber auch Eltern, Tipps zu geben, wie sich diese „Reife“ nachholen ließe. Dabei wird streng logisch vorgegangen. Kapitel Eins sieht die erwachsen gewordenen Tyrannenkinder im Berufsleben ankommen und dort ziemlich grandios – denn das sind in ihrer eigenen Vorstellungswelt ja allesamt – scheitern. Und deutet schon an, woher dieses Phänomenen wohl rühren könnte, nämlich in Reifungsstörungen, die Winterhoff zufolge immer aus Beziehungsstörungen resultieren. Für die aber eben auch die Eltern letztlich herzlich wenig können, weil die gesamte Gesellschaft, um nur eine These anzudeuten, im „Rausch der Geschwindigkeit“ ist. Kapitel Zwei ergründet die Erfordernisse des Arbeitsmarktes und zeigt auf, woran es bei den nicht „ausbildungsreifen“ Berufsanfängern hapert. Die hier bemühte Empirie untermauert deutlich, dass Winterhoffs Bestandsaufnahme nicht aus der Luft gegriffen ist. Kapitel Drei blickt auf den Arbeitsmarkt, die Berufsanfänger und Auszubildenden aus Sicht derjenigen, die die jungen Erwachsenen in das Berufsleben hineinführen sollen, wie zum Beispiel die Ausbilder. Diese stehen nämlich oft sehr allein gelassen vor einer Vielfalt von Problemen, die im Prinzip gemeingültige von der Gesellschaft zu verantwortende psychosoziale Ursachen haben. Das vierte Kapitel ist der Kern des Buches und erforscht „Wieso junge Erwachsene sich wie Kleinkinder verhalten“. Es appelliert „Wider die Spaßgesellschaft und den Hochbegabtenwahn“, wobei beide Erscheinungsformen für sich genommen auch schon wieder Auswirkungen von Beziehungsstörungen und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen sind. Welche Möglichkeiten Chefs und Ausbilder überhaupt noch haben, etwas an der Misere zu ändern erläutert Kapitel Fünf. Kapitel sechs ermahnt die Eltern der noch nicht so richtig erwachsen gewordenen Tyrannen, dahin gehend, dass „Dabei sein nicht immer alles ist“. Kinder müssen Fehler machen, um daraus zu lernen. Im siebenten Kapitel wird überlegt, was im Vorfeld geschehen könnte, also in der Phase von Kindergärten und Schulzeit, um die Ausbildungsmisere abzuwenden. Hier werden sehr konkrete Vorschläge unterbreitet, die leider, betrachtet man die politische Landschaft, utopisch anmuten. Das Schlusswort des achten Kapitels führt vor Augen, was eine (ausbildungsfähige) Persönlichkeit ausmacht. Für den Leser, der mit den Thesen von Winterhoffs vorhergehenden Büchern wenig vertraut ist, werden diese im neunten Kapitel unter dem Titel „Beziehungsstörungen im Überblick“ erläutert.
Zitate
„Das letzte Jahrzehnt des zwanzigsten und mehr noch das erste des einundzwanzigsten Jahrhunderts werden in der noch zu schreibenden Geschichte der Psyche als die Jahre eingehen, in denen die psychische Reife junger Menschen zu schwinden begann.“
„Was jeder Einzelne von uns beim ständigen Rotieren im Hamsterrad des Alltags nicht mehr im Blick behalten kann, ist die Beziehung zu anderen Menschen. Von besonderer Bedeutung ist dieser Umstand für Kinder. Sie sind diejenigen, die eines vor allem brauche: Beziehung. Beziehung zu ihren Eltern an erster Stelle, aber auch Beziehung zu Erzieherinnen, Lehrern und anderen Erwachsenen. Beziehung aufzubauen und aufrechtzuerhalten, benötigt jedoch Zeit und Ruhe, gerade im Hinblick auf Kinder. Hier liegt der Hase im Pfeffer. Die überfordernde soziale Situation vieler Erwachsener hat Beziehungsstörungen entstehen lassen, die die psychische Reifeentwicklung vieler junger Menschen entscheidend behindern.“
„Leider zeigt die Tendenz in der Bildungspolitik in den vergangenen mindestens zehn Jahren eher in die falsche Richtung. Wichtig wäre hier, die Bedeutung von Beziehung zu verstehen und in die Konzepte zu integrieren. Lehrer werden häufig nur noch zu Mentoren degradiert, die nicht mehr für die Stoffvermittlung zuständig sind, sondern begleitend zuschauen sollen, wie schon die Jüngsten sich alles selbst aneignen. Motto: Wenn noch Fragen sind, werden die Kleinen schon kommen. So können Lehrer oft nur noch zuschauen, wie die ihnen anvertrauten Kinder zu großen Teilen überfordert sind und dieser Überforderung durch unbewusst entstehende Verhaltensauffälligkeiten Ausdruck verleihen. Oft bleibt den Lehrern tatsächlich nur das Zuschauen, denn wenn sie sich auf ihre originäre Aufgabe besinnen, pädagogisch eingreifen , dabei vielleicht sogar zu solch ‚grausamen‘ Maßnahmen wie schlechten Noten oder Strafarbeiten greifen, besteht die Gefahr, kurze Zeit später Ärger mit einer breiten Front von Gegner zu haben: von Eltern bis zur Schulaufsichtsbehörde. Und wer will das schon auf Dauer?“
Alle Tyrannen-Bücher von Michael Winterhoff
- Warum unsere Kinder Tyrannen werden Oder: Die Abschaffung der Kindheit
- Tyrannen müssen nicht sein Warum Erziehung allein nicht reicht – Auswege
- Persönlichkeiten statt Tyrannen Oder: Wie junge Menschen in Leben und Beruf ankommen
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Trailer zum Buch
Persönliche Bewertung
Winterhoff legt den Finger auf eine recht übel schwärende Wunde.
Zu Winterhoffs vorhergehenden Tyrannen-Büchern mag man stehen, wie man will, dieses Buch sollte man trotzdem lesen. Denn hier greift der Facharzt für Kinder- und Jugendtherapie ein wahrhaft brisantes Thema auf und analysiert es tiefschürfend in Zusammenarbeit mit einer Psychologin, die Personalverantwortung trägt. Heraus kommt dabei ein erschütterndes Bild, das davon erzählt, wie erschreckend unreif eine zunehmende Zahl der jungen Menschen eigentlich ist, die da auf den Arbeitsmarkt und damit zugleich auf ihr ganz eigenes Leben losgelassen werden. Und niemand fühlt sich zuständig für dieses Problem, das sicher zurecht als eine tickende Zeitbombe beschrieben wird. Wie denn auch, wenn es dafür notwendig wäre, gesamtgesellschaftliche Einflussfaktoren zu ändern. Und wenn es dazu notwendig wäre, Schulen und Kindergärten grundlegend zu reformieren – hin zu mehr Verantwortlichkeit und hin zu mehr Erziehung, denn Erziehung ist eben auch immer Beziehung. Und nur durch Beziehungen reifen die Kleinen zu großen (erwachsenen) Persönlichkeiten heran. Sehr angenehm, dass der Autor auch dann die Hoffnung nicht sinken lässt, wenn siebzehnjährige als nicht ausbildungsreif gelten, sondern ihnen Zeit zur Nachreifung lässt. Und zudem noch Vorschläge unterbreitet, wie das zu bewerkstelligen wäre. Die klare schnörkellose Sprache in der dieses Drama, das eigentlich alle angehen sollte, vortragen wird, macht aus dem recht trockenen Stoff ein spannendes Lesevergnügen. Wenngleich man ahnt, und das ist der Wermutstropfen, dass sich bei allem Engagement des Autors, wohl kaum ein Konsens finden wird, der es sich zur Aufgabe macht, wirklich an die Wurzel des Übels zu gehen.
Fazit
Winterhoff legt den Finger auf eine recht übel schwärende Wunde und diagnostiziert die gesamtgesellschaftlichen Ursachen ausgehend von einem psychosozialen Standpunkt.
- ISBN10
- 3579068679
- ISBN13
- 9783579068671
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2010
- Gebundene Ausgabe
- 189 Seiten