Lob der Vernunftehe

Eine Streitschrift für mehr Realismus in der Liebe

Autoren
Verlag
S. Fischer Verlag
Anspruch
5 von 5
Humor
4 von 5
Lesespaß
4 von 5
Schreibstil
5 von 5
Spannung
4 von 5

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Zusammenfassung zu “Lob der Vernunftehe”

In „Lob der Vernunftehe“ äußert sich ein ausgemachter Experte zu einem Thema, das wohl jeden einmal bewegt, und viele von uns möglicherweise sogar täglich. Es geht um das Thema Ehe, und darum, wie diese – möglicherweise sogar lebenslänglich – zu ertragen sei. Arnold Retzer, der Autor, ist einer der führenden Paartherapeuten Deutschlands, war Studioexperte zum diesem Thema in der Sendung „Lebensart“ beim WDR und ist fachlicher Berater für Focus online, Brigitte und für den Stern.

Zur Ehe hat er vor allem eines vorzutragen: Einen überzeugenden Appell an jeden, die Vernunft in die Ehe einziehen zu lassen. Denn diese liegt zumindest in den eigenen Händen, was von der Liebe, die wir heutzutage als Basis für eine gelungene Ehe anzunehmen gewohnt sind, zumeist nicht behauptet werden kann. Daher räumt der Autor auch gleich zu Beginn mit der Vereinbarkeit von Liebe und Alltag auf – womit etliche, uns lieb gewordene Klischees, gleich mit über Bord gehen. Danach wird es jedoch konstruktiv, wenn auch etwas spiegelverkehrt, indem „Sieben Vorschläge, wie man seine Ehe zum Scheitern bringt“ vorgetragen werden. Derart lösungsorientiert kommt auch auch das nächste Kapitel daher, indem es um „Lösbare Probleme und problematische Lösungen“ geht. Wobei, folgt man dem Autor, in Ehen zumeist die Uneinigkeit über das Problem das eigentliche Problem darstellt. Von den verheerenden Folgen, die der Versuch, Gleichheit herzustellen, einer Ehe beschert, berichtet das vierte Kapitel. Sehr interessant, und wohl einer der wichtigsten Bausteine dieses Eheberaters in Buchform ist das fünfte Kapitel, das von der „Kunst des Vergebens“ handelt und davon, warum diese Fähigkeit die eigene Psyche (und natürlich die der Ehe) so hervorragend entlastet. Weitere, kaum weniger spannende Themen kreisen um die Wohltat, die Illusionen und „erfundene Ehegeschichten“ mit sich bringen, aber auch darum, warum es angenehmer ist, auf das große Glück zu verzichten und sich mit der „Banalität des Guten“ zu begnügen. Auch Freundschaft ist ein wichtiger Baustein für gelungene Ehen, genauso wie das Lachen. Falls es trotz aller guten Ratschläge doch nicht so ganz klappt mit der Ehe, liefert Kapitel dreizehn eine sinnige Anleitung, wie man „Vernünftig Schluss machen“ kann.

Zitate

„Seit wenigen Jahrhunderten ist die Liebe zur Voraussetzung der Ehe geworden. Man sollte sich lieben, wenn man heiratet, und wer sich liebt, hat die Voraussetzungen für die Ehe. Die Liebesehe war entstanden. Wenn es aber nun so ist, dass man die Liebe nicht willkürlich herbeiführen und schon gar nicht willkürlich aufrechterhalten kann, hat man ein Problem: Man hat sich durch die Hochzeit – eine Vertragsunterzeichnung – zu etwas verpflichtet, was man nicht unbedingt halten kann. Da hatten es die Paare einer arrangierten Ehe zumindest im Hinblick auf dieses Dilemma leichter.“

„Die differenzierte Bewertung von Erfahrung lässt Zukunft und Dauer entstehen, wenn neben den inzwischen sattsam bekannten Schuldkonten auch Verdienstkonten eröffnet werden. Diese Verdienstkonten können positive Erfahrungen sein, die den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit in eine andere Richtung des Erfahrungsraumes lenken. Es lassen sich andere Ehe-Geschichten erfinden, mit denen man gut, besser und vielleicht auch dauerhafter zusammenleben kann.“

„Diese Vernunft realisiert sich auch in der Vernunftehe. Wir können dadurch der Illusion entgehen, uns den Himmel der Möglichkeiten auf die Erde und in unser Eheleben bringen zu können. Wir können dadurch aber auch der Befürchtung vorbeugen, unser Eheleben könnte die Hölle auf Erden sein. Stattdessen sollten wir unsere Ehe weder als Himmel noch als Hölle ansehen, sondern als einen realistischen Versuch auf Erden begreifen, das an erfüllter intimer Gemeinschaft zu erreichen, was uns vielleicht besser bekommt als das Alleinsein. Was kann vernünftiger sein?“

Persönliche Bewertung

Interessante ‚Neuentdeckungen‘ zum Thema Ehe vom führenden Ehe-Experten Deutschlands.

4 von 5

„Lob der Vernunftehe“ wirkt zuerst einmal wie ein sehr vernünftiges Buch. Die Rezensentin glaubt sich zu erinnern, dass es Zeiten gab, als „Vernunftehe“ fast so etwas wie ein Schimpfwort war. Vernunftehen waren etwas für Versager, die sich nicht in und mit ihrem Leben zu helfen wussten, und daher in den rettenden Hafen der „Vernunft“-Ehe einschifften. Mit all den Vorurteilen, die hinter diesem Klischee stecken, räumt der Autor Arnold Retzer gründlich – und sehr gekonnt auf. Gekonnt, meint in diesem Fall sowohl unterhaltend als auch fundiert. Und nie belehrend. Behutsam führt Retzer dem Leser vor, was ein bisschen weniger Glaube an die allselig machende „Große Liebe“ und ein bisschen mehr Wissen darüber, was eigentlich in zwischenmenschlichen Beziehungen passiert (und was davon ihnen gut tut), für eine Ehe ausmachen kann. Das Wissen um diese um diese ganz alltäglichen Dinge (und Betrachtungsweisen) kann nämlich ein Eheleben zu einer Bereicherung werden lassen – anstatt zur Hölle auf Erden, die eine Ehe nämlich zwangsläufig werden muss, wenn immer die große Liebe darin gesucht wird. Alles in allem also, ein gut lesbarer, handlungsorientierter Ratgeber, der verschüttetes Wissen wieder in den Zeitgeist zurückholt. Dabei selten belehrend und deutlich über dem Niveau der üblich-verdächtigen „Do ist your self“ Ratgeber angesiedelt. Sollte man vor der Hochzeit ruhig einmal gelesen haben.

Fazit: Interessante „Neu- oder Wieder-Entdeckungen“ zum Thema Ehe. Niveauvoll unterhaltend vorgetragen vom führenden Ehe-Experten Deutschlands. Unbedingt vor der „Vertragsunterzeichnung“ lesen.

ISBN10
3100629442
ISBN13
9783100629449
Dt. Erstveröffentlichung
2009
Gebundene Ausgabe
298 Seiten