Die Bücher von Umber (1) – Der gefundene Junge

Was wäre, wenn ich plötzlich mein Bewusstsein wieder erlange und alle Erinnerungen an die Zeit davor verloren habe? Wenn ich nicht mehr weiß, wer ich bin, wo ich herkomme und was mich in die aktuelle Situation geführt hat? Der Junge Hap erwacht wie aus dem Nichts und findet sich an einem unheimlichen Ort, mit einem beklemmenden Gefühl – was wie ein Alptraum klingt und sich zu einem Thriller entwickeln könnte, ist der fesselnde Einstieg in ein spannendes Steampunk-Abenteuer. Haps verlorene Erinnerung schafft nicht nur einen Anfang, der seine Leser von Beginn an in seinen Bann zieht, sondern ist zudem auch ein geschickter Schachzug des Autors: Zusammen mit Hap kann der Leser so die faszinierende Welt von Lord Umber und Aerie kennenlernen und entdecken. Das gemeinsame Nichtwissen und die Verwirrung über die Umstände bewirken, dass sich der Leser sehr gut in die Figur des Hap hineinversetzen kann. Doch Hap ist nicht der einzige Charakter, der lebensnah und überzeugend dargestellt ist. Auch Lord Umber selbst als zwielichtige Gestalt, deren Intentionen lange unklar bleiben, der etwas schroffe und stets ehrliche Oates oder das schüchterne Mädchen Sophie mit seiner Hakenhand gehören zu den Figuren, die zu der überaus gelungenen Geschichte beitragen.

Natürlich sind die Walfischbarke oder die Eisenhand des Mädchens Motive, die in einem an Steampunk angelehnten Roman kaum überraschen. Langweilig ist dieser erste Band trotzdem nicht. Die Kulisse ist eine historische Welt, die dank Lord Umbers „Erfindungen“ mit großen Schritten dem technologischen Fortschritt entgegeneilt. Der Autor verknüpft hier geschickt die spannungsvolle Geschichte mit einem politischen Motiv, das sich gut auf unsere Realität übertragen lässt. So sieht sich Lord Umber Zweifeln gegenüber und vor allem dem Dilemma, sich der politischen Macht von König und Prinzen beugen zu müssen: Wo er ursprünglich mit seinen neuen Ideen der Bevölkerung helfen und mit dem Druck von Büchern und anderen Schriftstücken zu Bildung und Verbreitung von Wissen beitragen möchte, werden diese Privilegien für das einfache Volk von den Oberen schlichtweg abgelehnt. Stattdessen soll er sein Können dafür verwenden, die militärische Macht des Königshauses zu stärken. Hervorzuheben ist auch Oates mit seinem Fluch, immer die Wahrheit sagen zu müssen. Fast schon philosophisch muten die subtilen Denkanstöße an, die sein Schicksal und die Ablehnung anderer Menschen ihm gegenüber (obwohl Ehrlichkeit als Tugend gehandelt wird) anregen. Diese Motive ist nur zwei von verschiedenen Gedanken, die das Buch aufgreift und damit nicht nur für eine spannungs-, sondern auch eine anspruchsvolle Lektüre sorgt.