Die Bibel für Ungläubige
Genesis
Zusammenfassung zu “Die Bibel für Ungläubige”
Die Bibel verbinden die meisten Menschen mit dem wichtigsten Buch gläubiger Christen. Guus Kuijer hat das meistverkaufte Buch der Welt unter einem anderen Aspekt gelesen und seine eigene Version veröffentlicht. Er erzählt sechs dramatische und fesselnde Geschichten aus dem Buch Genesis, aus der Sicht einer biblischen Figur, die das Geschilderte miterlebt hat. So wird beispielsweise die Schöpfungsgeschichte aus Adams Perspektive erzählt: Die Konflikte mit Gott, die Schwierigkeiten mit Eva und natürlich die Begebenheit mit der Schlange, dem Apfel vom Baum der Erkenntnis und die Vertreibung aus dem Paradies. Die zweite Geschichte um den Bau der Arche Noah und die Sintflut erlebt der Leser durch die Augen von Ham, einer von Noahs Söhnen. Schelach ist der Urenkel Noahs und berichtet in der dritten Geschichte vom unmöglichen Unterfangen, einen himmelhohen Turm zu bauen. In den drei weiteren Geschichten kommen Sarai, Nachfahrin von Schelach, Isaak als deren Nachfahre und Ben Oni, dessen Nachfahre, zu Wort. Im Nachwort schließlich erklärt der Autor seine Motivation zu diesem Buch, eröffnet seine eigene Ungläubigkeit, bei gleichzeitiger Faszination für die Geschichten der Bibel.
Zitate
„Inzwischen habe ich eingesehen, dass Ratschläge nichts nützen, wenn ein Mensch von einer Gottheit besessen ist.“
„Ich kehrte ihm den Rücken zu und spürte sein bitteres Schweigen wie Pfeilspitzen im Nacken. Ich hatte ihn verletzt. Er wollte zusammen mit seinem Vater den Turm bauen und nicht zu Hause bei seiner Mutter sitzen. Er hörte meine Worte wohl, aber er verstand sie nicht. Die Leute in Schinar benutzten dieselbe Sprache, aber was ist ‚Sprache‘ genau? Manchmal dient sie eher dazu, Unverständnis und Verwirrung zu säen, während sie doch eigentlich, sollte man meinen, dazu da ist, etwas deutlich zu machen.“
„Sie ging. Ich sah ihr nach und ärgerte mich über alles an ihr: ihre Art, sich in den Hüften zu wiegen, die wehenden Haare, die zierlichen Füße und ihre Fußkettchen. Die mütterlichen Gefühle, die mein Herz umhüllt hatten, wurden nun in dreckige Fetzen zerrissen. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich alt und hässlich. Es war unerträglich. Zwar wusste ich genau, dass ich mir meine Hässlichkeit selbst zuzuschreiben hatte und Hagar kein Vorwurf zu machen war, aber auch das änderte nichts an dem Hass, der wie heißes Erdpech in mir aufwallte.“
Persönliche Bewertung
Mutig, exzellent geschrieben und intelligent hinterfragt
Anders kann man es nicht ausdrücken: Es ist eine geniale Idee von Guus Kuijer, biblische Geschichten auszuschmücken, aus Sicht eines unerwarteten Charakters zu erzählen und ihnen so einen anderen Blickwinkel zu verleihen. Hierdurch gelingt es dem Autor, ganz unterschiedliche Perspektiven einzunehmen – die des Gottesfürchtigen, des Skeptikers oder des Zynikers. Durch die Gedanken der Figuren werden Leser selbst zum Nachdenken und Hinterfragen angeregt, und das unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund. Wer sich auf dieses Buch einlässt, findet einen reichhaltigen Schatz an Anspielungen, intelligenten psychologischen und soziologischen Interpretationen (zum Beispiel durch Einschübe wie „Nicht selten verraten Lästermäuler mit ihrem Getratsche vor allem die eigenen düsteren Gelüste.“) sowie natürlich auch „ketzerischen“ Ansichten.
Da geht es beispielsweise um die Rolle der Frau, die Normalität der Homosexualität bzw. Bisexualität, um den blinden Glauben und Gehorsam. Ein Charakter sieht die Menschen den Göttern ausgeliefert, ein anderer kann nicht umhin festzustellen, dass ein starker Glaube die sachliche Argumentation sinnlos macht. In den Geschichten erscheint Gott bzw. die Götter sehr menschlich: Sie sind rachsüchtig, stolz, eifersüchtig, selbstsüchtig und skrupellos. Durch Noahs Sohn wird auch das allen Kritikern bekannte Dilemma des „gerechten, gütigen und allmächtigen Gottes“ thematisiert: Gott lässt schließlich beispielsweise unschuldige Kinder auf grausamste Weise während der Sinntflut ertrinken. Doch der Autor liefert auch gleich die bekannten Rechtfertigungen der Gläubigen dazu: des Menschen Verstand reiche nicht aus, um die Entscheidungen der Götter beurteilen bzw. verstehen zu können. Dies bedeutet, Gott darf bestrafen, ohne dass die Menschen dies verstehen können oder müssten. Man ahnt, welchen Standpunkt der Autor zu diesen Fragen einnimmt, besonders nach Lektüre des Nachworts, aber dennoch bleibt es jedem Leser durchaus selbst überlassen, Position zu beziehen.
Sprachlich befindet sich Guus Kuijer auf hohem Niveau, er verwendet treffende Vergleiche und Metaphern (siehe Zitate), die die Handlung ausschmücken. Hier gebührt das Lob natürlich auch den beiden Übersetzerinnen Angela Wicharz-Lindner und Anna Carstens, die Leser mit der Wahl teilweise ungewöhnlicher Wörter (z.B. „belferte“) erfreuen. An einigen Stellen lehnt sich der Schreibstil an den etwas antiquierten Ausdrucksweisen der Bibel an, ist weitgehend jedoch sehr gut lesbar und hat mit dem etwas sperrigen Original wenig gemeinsam.
Dank hochwertiger Ausstattung ist „Die Bibel für Ungläubige“ ein großartiges Geschenkbuch für humorvolle Menschen und ein Blickfang im Bücherregal oder auf dem Nachttisch. Denn was gläubigen Christen die Bibel, das könnte dem Atheisten die Bibel für Ungläubige sein. Und vielleicht auch eine Bereicherung für die Nachttischschublade alternativer Hotels?
Fazit
Guus Kuijer wagt mit seinem Buch ein mutiges Experiment, das ihm sicherlich nicht nur Bewunderung und Anerkennung einbringen, sondern auch einigen Menschen gegen den Strich gehen dürfte. Wie auch immer man seinem Ansatz gegenüber stehen mag, Tatsache ist, dass sich der Autor brillant auszudrücken vermag und ein Buch mit sechs fesselnden intelligent interpretierten Geschichten geschrieben hat, die nach mehr verlangen.
- Originaltitel
- De Bijbel voor ongelovigen
- ISBN10
- 3888979722
- ISBN13
- 9783888979729
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2014
- Gebundene Ausgabe
- 322 Seiten