Andorra

Stück in zwölf Bildern

Autoren
Anspruch
5 von 5
Humor
3 von 5
Lesespaß
5 von 5
Schreibstil
5 von 5
Spannung
5 von 5

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Zusammenfassung zu “Andorra”

Das Drama dreht sich um das Leben von Andri, einem unehelichen Sohn des Lehrers (aus „Andorra“) mit Senora (von den „Schwarzen“). Andri hat seine wahre Herkunft bislang nicht erfahren. Er denkt, er sei ein vor den Schwarzen gerettetes jüdisches Kind. Immer wieder begegnen ihm antisemtische Haltungen. Als er sich in Barblin, der Tochter des Lehrers verliebt, ahnt er nicht, dass es sich um seine Halbschwester handelt. Als Andris Mutter von den Schwarzen zu Besuch kommt, sagt der Lehrer ihm endlich die Wahrheit. Doch Andri weigert sich, sein Schicksal anzunehmen. Er hat sich inzwischen in die Opferrolle eingefunden. Plötzlich wird seine Mutter als angebliche Spitzelin gesteinigt. Angeblich soll Andri den Mord begangen haben. Vor Wut marschiert das Nachbarvolk in Andorra ein.

Es scheint niemanden mehr zu geben, der auf Andris Seite steht. Lediglich Barblin möchte ihren Bruder beschützen. Sein Begehren ist jedoch sehr groß, er möchte mit ihr schlafen. Barblin weigert sich, was Andri empört, schließlich habe sie schon andere Männer an sich heran gelassen. Dass Barblin von dem Soldaten vergewaltigt wurde, weiß Andri nicht. Am Ende der Szene wird Andri verhaftet und abgeführt. Auf einer öffentlichen Judenschau wird Andri „überführt“. Allein seine auffällige Gangart würde den Rückschluss auf seine Rassenzugehörigkeit zulassen, urteilen die Anwesenden. Andri wird zuerst gefoltert (Finger abgeschnitten), dann wird er exekutiert. Daraufhin verliert Barblin den Verstand und der Lehrer stranguliert sich. Der Pater ist der einzige Bürger, der sich nach den Ereignissen schuldig fühlt. Alle anderen Bürger stehen an der „Zeugenschranke“, um sich zu rechtfertigen und um jegliche Mitschuld abzustreiten…

Wichtige Charaktere

  • Andri
  • Barblin
  • Lehrer
  • Soldat
  • Pater

Interpretation

An der behandelten Thematik besteht kein Zweifel: Als Parabel handelt „Andorra“ von der Schuld der sogenannten Mitläufer, von Vorurteilen gegenüber anderen Menschen und von den Auswirkungen dieser Vorurteile. Kann man Juden an äußeren Merkmalen erkennen? Darf man jemanden aufgrund seiner Herkunft anprangern? Diese und ähnliche Fragen stecken in jedem der zwölf Szenen. Wichtig in diesem Theaterstück ist auch die Frage nach der Identität des Einzelnen. Wer bestimmt diese Identität? Hat nur jenes Bild Bestand, welches sich die Mitmenschen von einem selbst machen? Max Frisch schreibt gegen das Vergessen an, das steht fest. Kein Wunder: Erste Versuche zu „Andorra“ entstehen bereits kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In diesem Zusammenhang ist auch der Finger interessant, den die Soldaten dem angeblichen Juden Andri abhacken. Als Zeigefinger besitzt dieser Finger eine besondere Funktion: Er soll aufzeigen, er soll mahnen. Auf keinen Fall soll sich über diesen Fall (und über die Geschehnisse im Dritten Reich) der schwere Mantel des Vergessens legen.

Erwähnenswert sind auch die Kritiken, die das Stück erfahren hat. In Europa wurde es ein Erfolg. In Amerika setzte man es nach einer Woche Spielzeit am Broadway in New York ab. Die Medien meinten, das amerikanische Volk bräuchte diesen vorgehaltenen Spiegel nicht. Vielleicht war es aber genau diese Arroganz, diese Abwehr von (Mit-)Schuld, die Max Frisch mit dem Untergang seiner Hauptfigur Andri aufzeigen wollte.

Persönliche Bewertung

Ein anspruchsvolles Drama um Vorurteile und Antisemitismus

5 von 5

Die Wichtigkeit von „Andorra“ ist unbestritten hoch. Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 entstanden erste Skizzen des Stückes, welches erst 1961 beendet und aufgeführt wurde. Zentrale Thematik ist der Antisemitismus, der sich in Vorurteilen, Pöbeleien und falschen Anschuldigungen gegenüber des Protagonisten Andri äußert. Die Sprache ist Hochsprache und wirkt stets leicht und flüssig, niemals gestelzt oder gekünstelt. Dies macht das Lesen zum Vergnügen. Viele Ausrufe („Schweig!“) und emotionale Sätze („kein Tag ohne Jud, keine Nacht ohne Jud, ich höre Jud, wenn einer schnarcht, Jud, Jud, kein Witz ohne Jud, kein Geschäft ohne Jud, kein Fluch ohne Jud, ich höre Jud, wo keiner ist, Jud und Jud und nochmals Jud, die Kinder spielen Jud, wenn ich den Rücken drehe“) lassen das Geschehen lebendig erscheinen. Der Leser fühlt sich mittendrin.

In vielen Klassen gehört das Stück inzwischen zur Schullektüre dazu. Es ist unverzichtbar bei der Frage: Wann machen wir uns schuldig? Beim Handeln? Beim Wegschauen? Gehört uns eine gewisse Mitschuld und kann jemand überhaupt frei von Schuld sein, wenn in seiner Umgebung jemand ausgegrenzt und aufgrund einer unterschiedlichen Religionszugehörigkeit verspottet wird? „Andorra“ ist mehr als nur lesenswert. Es ist ein Klassiker, der alle Zeit Bestand haben wird. Auf der einen Seite steht der einfache, dumme Mob. Auf der anderen Seite steht der verständige, fühlende Mensch. Wo bewegen wir uns? Wo steht jeder Einzelne von uns? Verhalten wir uns menschlich oder brutal und stumpfsinnig? Zu diesen und ähnlichen Fragen zwingt Max Frisch seine Leser. Zu Recht.

Fazit

„Andorra“ ist ein eindringliches Theaterstück über Schuld und Mitschuld. Max Frisch appelliert an Nächstenliebe und an Menschlichkeit. Die stumpfe Masse, die „Andorraner“ und die „Schwarzen“, wird bei ihm mit all ihren Vorurteilen und begrenztem Verstand auf lächerliche Weise überführt. Ein zeitgemäßes Werk. Die frische Sprache erleichtert das Lesevergnügen.

ISBN10
3518367773
ISBN13
9783518367773
Dt. Erstveröffentlichung
1961
Taschenbuchausgabe
144 Seiten

Eine Antwort zu
Andorra

  1. Lilimaus

    5 von 5

    Lie­be Buchhexe,
    ich bedan­ke mich sehr für die Rezen­si­on jetzt habe ich ein kla­res bild über Andor­ra. sie haben mir sehr gehol­fen. Beim wie­der­ho­len des Thea­ter  kann ich nun freu­de an der Geschich­te emp­fin­den da ich die Geschich­te nun verstehe.