Barrakuda
Zusammenfassung zu “Barrakuda”
„Barrakuda“, der pfeilschnelle „böse“ Fisch aus dem Meer – diesen Spitznamen verdient sich Danny Kelly, als er Schwimmmeisterschaften gewinnt, gleichzeitig aber als Psycho-Kelly gefürchtet wird. Ein Stipendium ermöglicht es Danny, dem Sohn aus einer schottisch-irisch-griechischen Einwandererfamilie in zweiter Generation, auf einer Eliteschule ausgebildet zu werden und sein Schwimmtraining voranzutreiben. Die anderen Schüler, weitgehend aus der Oberschicht, akzeptieren den Stipendiaten nicht, er gehört nicht zu ihnen. Danny wird gehänselt, er erfährt körperliche Gewalt, bis sein Trainer ihm einschärft, sich zur Wehr zu setzen, zurückzuschlagen. Ab diesem Zeitpunkt lässt man ihn in Ruhe, er wird als „Psycho-Kelly“ bekannt. Neben seinem Außenseiterfreund findet er sogar in Martin Taylor einen besten Freund und Schwimmkollegen und macht erste Bekanntschaft mit der oberflächlichen Welt der Reichen und Privilegierten. Danny hat Pläne, träumt von einer Karriere als Schwimmprofi, von Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen. Doch dann kommt der Tag, an dem seine Zukunft in sich zusammenfällt, an dem Danny aus einem wichtigen Wettkampf nicht als Sieger hervorgeht und sich als Verlierer, als Versager fühlt.
Danny kann sich nicht damit abfinden, nicht gewonnen zu haben, schämt sich vor seinen Mitschülern, vor seinem Trainer, vor seiner Familie für sein Versagen und seinen Ausbruch. Er härtet noch mehr ab, entfernt sich von seiner Familie, verliert jede Zukunftsperspektive. Und die Hoffnung auf eine neue Chance hat er aufgegeben. Seine Frustration und Aggression steigern sich so weit, dass Danny gewalttätig wird und eine furchtbare Tat begeht, wegen der er einige Monate im Gefängnis verbringen muss. Als er entlassen wird, verspürt er weniger denn je die Hoffnung auf eine positive Zukunft, er kommt mit niemandem zurecht, findet nicht den Weg zu seiner Familie zurück, kann mit niemandem umgehen. Schließlich lässt er sich auf eine Zukunft mit seinem Freund Clyde ein, reist mit ihm nach Schottland. Doch irgendwann muss sich Dan seiner Vergangenheit und seiner Zukunft stellen…
Wichtige Charaktere
- Daniel „Dan“/“Danny“ Kelly
- seine Eltern
- seine Geschwister Regan und Theo
- seine beste Freundin Demet
- sein bester Freund Luke
- Martin Taylor
- Martins Schwester Emma
- Frank Torma
- Wilco
- Clyde
Zitate
„Am meisten gefiel ihm am Zusammensein mit seinen Großeltern, dass nicht geredet werden musste. Er konnte arbeiten, Radio hören, seine Muskeln dehnen, schuften. Oft sprach er tagelang mit niemandem, erlebte Tage und Nächte der Stille. Manchmal fand er alle Worte sinnlos. Für ihn war Stille nicht gleichbedeutend mit Leere, ganz im Gegenteil, für ihn war sie Ruhe und Frieden. Nur im Gespräch lauerten Probleme.“
„Er wollte keinen Fernseher, er brauchte kein Radio. Er wollte die Welt nicht hereinlassen. Er hasste die Nachrichten, konnte sie nicht glauben: die Bomben, der Terror, das Leid der Boatpeople; das Öl, das Geld, die Boden- und Immobilienpreise. Er ertrug nicht die falsche Hysterie der Soaps, die gezwungene Fröhlichkeit der Sitcoms, die geheuchelte Empörung der Kommentatoren, die Gäste der Polit-Talkshows. Er besaß auch keinen Computer. Er brauchte nicht die Versuchungen des Internets. Er zog die Stille vor, das Alleinsein, das ihn beruhigte. Er wollte nicht den Aufruhr, den unaufhörlichen Lärm. Nur Bücher – Bücher waren alles, was er wollte, und sie lagen überall in seiner Wohnung. Bücher aus der Leihbücherei, Bücher, die er auf Flohmärkten erstanden hatte. Lesend konnte er sich ganz in sich zurückziehen. Lesend konnte er das Getöse der Welt ausblenden.“
„Da erkannte Dan, dass es Luke im Grunde gar nicht interessierte, ob er, Dan, nach Hause wollte oder nicht. Es ging Luke nicht um seinen Freund – er rechtfertigte sich vor sich selbst, er überzeugte sich selbst, dass Katie une er das Richtige taten. Veränderung oder Rückzug – beides war eine Zukunft, an die man einfach glauben musste.“
Trailer zum Buch
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Persönliche Bewertung
Sozialdrama über Leistung und Versagen, das verstört und bewegt
Dieses Buch lässt seine Leser nachdenklich zurück, vielleicht sogar verstört und vermutlich erschöpft. Christos Tsiolkas mutet seinen Lesern einiges zu, fordert sie und schreckt auch vor obszöner Sprache nicht zurück, weil sie zu seiner Hauptfigur passt. Der Schreibstil ist anspruchsvoll, wo es passt, beschreibt der Autor sehr treffend und charakterisiert scharfsinnig Geschehen und Personen. Die Zeiten springen kapitelweise zwischen der Vergangenheit und der Gegenwartsform, analog wird die Geschichte abwechselnd von Danny als Ich-Erzähler und einem auf ihn fokussierenden personalen Erzähler geschildert. Raffiniert ist hierbei das Stilmittel, im ersten Teil des Buches („Einatmen“) die Vergangenheit mit genauer Datumsangabe in Vergangenheitsform und durch einen personellen Erzähler, die Gegenwart im Präsens durch Danny in Ich-Form erzählen zu lassen. Der zweite Teil („Ausatmen“) kehrt im Gegensatz dazu diese Erzählform um und beginnt genau zu dem Zeitpunkt, nachdem Dannys Tat offenbart wurde. Diese Zeit- und Erzählersprünge erfordern ein erhebliches Maß an Konzentration, heben „Barrakuda“ jedoch auch von anderen Romanen ab.
Danny, der Hauptcharakter, ist zwiespältig. Er ist kein Sympathieträger, seine Reaktionen, sein Weltbild und seine Aggressionen sind nicht immer nachvollziehbar und erklären sich erst im Verlauf der Geschichte. Letztendlich liefert der Autor plausible Erklärungen für die Besessenheit und den verstörenden Hass, für den Mangel an Empathie und die Teilnahmslosigkeit der Hauptfigur, das Hineinfühlen in die Figur fällt dennoch schwer. Andere Charaktere im Buch bleiben vergleichsweise flach, passend zu Dannys eher oberflächlicher Beziehung zu ihnen. Der Fokus der psychologischen Analyse liegt klar auf der Hauptfigur, der Autor liefert jedoch auch interessante psychologische Analysen zu anderen Charakteren, beispielsweise Dannys Schwester, seiner besten Freundin oder der Taylorfamilie in ihrer wohlhabenden Oberflächlichkeit und Verlogenheit.
Zwar geht es um einen Sportler, das Thema Leistungssport ist jedoch nicht der Hauptinhalt des Buches. Vielmehr geht es um zerbrochene Träume, um Enttäuschung, verratenes Vertrauen, um Selbstaufgabe, Rache, Selbsthass, Vorurteile und Selbstmitleid. Etwas spezifischer betrachtet rückt der Autor gesellschaftliche und persönliche Probleme ins Blickfeld wie die Akzeptanz von Menschen mit unterschiedlicher ethnischer Herkunft, das Überleben im Gefängnis und die Schwierigkeit, in das „normale“ Leben zurückzukehren, Unterstützung und Vernachlässigung durch Eltern, Neid, Missgunst und Scham angesichts der eigenen Herkunft und des eigenen verpfuschten Lebens. Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen, so reich an Anspielungen, Analysen und Beobachtungen ist „Barrakuda“. Anspruchsvolle Leser dürften ausreichend Gedankenanregungen finden, allein die Spannung fällt im zweiten Teil des Buches etwas ab, nachdem die Herkunft und Gründe der Tat bekannt sind.
Fazit
„Barrakuda“ ist kein angenehmes Buch mit einem sympathischen Hauptcharakter in leichtfüßiger Erzählweise. Tsiolkas erzählt eine ergreifende Geschichte um die tragische Figur eines Jungen, der an seinen Träumen und an seinem Selbstbild kaputtgeht, der nicht in seine Umgebung passt, dessen Verachtung Selbstschutz, dessen Aggressionen seine letzte Ausflucht ist. Die vielen Zeitsprünge und Perspektivwechsel hemmen bisweilen den Lesefluss und die Spannung, trotzdem: Eindeutige Leseempfehlung für anspruchsvolle Leser und Leserinnen, die sich für Sozialdramen und psychologische Abgründe interessieren.
- Originaltitel
- Barracuda
- ISBN10
- 360898013X
- ISBN13
- 9783608980134
- Dt. Erstveröffentlichung
- 2014
- Gebundene Ausgabe
- 480 Seiten