Interview mit Torben Kuhlmann

Interview mit Torben Kuhlmann

Wir haben Illustrator und "Lindbergh"-Erfinder Torben Kuhlmann, der mit seinem Bilderbuch über eine fliegende Maus beim Schweizer NordSüd Verlag debütierte, Fragen zu seiner Arbeit und seinem ersten Buch gestellt.

Tor­ben Kuhl­mann habe ich durch den Bericht des Buch­markts über die Kin­der­buch­mes­se in Bolo­gna ken­nen­ge­lernt, in der er als Ent­de­ckung erwähnt wur­de. Ich war durch die Bil­der, die ich nach dem Besuch auf sei­ner Web­site sehen konn­te, sofort von ihm über­zeugt und mei­ne Begeis­te­rung mün­de­te in einer E-Mail, die noch am sel­ben Tag eine Beant­wor­tung fand. Ich hat­te mich schon an die­sem 2. April fest­ge­legt: „Ohne es gele­sen zu haben, rei­chen die Bil­der und die Beschrei­bung auf Ihrer Web­site für mich aus, um zu wis­sen, dass dies etwas sehr Beson­de­res ist, vie­len Dank dafür!“ Eini­ge Mona­te spä­ter, es war mitt­ler­wei­le Novem­ber gewor­den, flat­ter­te uns die Vor­schau des Nord­Süd Ver­lags ins Hexen­haus mit „Lind­bergh“ auf dem Titel­blatt. Nun ist es Janu­ar und das Buch liegt neben mir auf dem Schreib­tisch. Dass Herr Kuhl­mann der Bit­te um ein Inter­view nach­ge­kom­men ist, ehrt die Buch­he­xe sehr!

Torben Kuhlmann - Buchhexe mit Katze

Die Idee einer flie­gen­den Maus kam plötz­lich, schien mir dann aber unglaub­lich logisch.“

Buch­he­xe: Wie sind Sie auf die Idee zu Lind­bergh gekom­men? Und wie ging es dann wei­ter? Wie lan­ge hat es bis zum fer­ti­gen Buch gedauert?

Tor­ben Kuhl­mann: Die Flie­ge­rei und die Luft­fahrt­ge­schich­te haben mich schon immer fas­zi­niert, beson­ders in der Kind­heit. Damals habe ich nicht nur vie­le Flug­zeu­ge und ande­re Maschi­nen gezeich­net und gemalt – auf eine Wand in mei­nem Kin­der­zim­mer mal­te ich gar eine Col­la­ge mit Moti­ven der Luft­fahrt – son­dern habe auch klei­ne und mit­tel­gro­ße Model­le gebas­telt. Recht früh wäh­rend mei­nes Illus­tra­ti­ons­stu­di­ums 2006 such­te ich mir dann ein Pro­jekt im Bereich Kin­der­buch. Und da keim­te mei­ne alte Begeis­te­rung für die Luft­fahrt­ge­schich­te wie­der auf. Die Idee einer flie­gen­den Maus kam plötz­lich, schien mir dann aber unglaub­lich logisch. Zum einen soll­te der Prot­ago­nist ein Tier sein, das in der Men­schen­welt vor­kommt, wie zum Bei­spiel eine Maus. Mäu­se trifft man nun mal in vie­len Kel­lern, Küchen oder Dach­bö­den an. Ihre klei­nen Nage­tier­hän­de sehen fast mensch­lich aus und machen es fast schon glaub­haft, dass sie damit Sachen aus der Men­schen­welt sti­bit­zen und klei­ne Maschi­nen bas­teln kön­nen. Die zwei­te Initia­ti­ons­idee war der Gedan­ke, dass eine Maus eine Fle­der­maus trifft und dadurch inspi­riert wird, sel­ber das Flie­gen zu ler­nen. 2006 ent­stan­den dann meh­re­re Bil­der zu die­ser Kin­der­buch­i­dee, jedoch war die Anzahl begrenzt – es war ja nur ein Semes­ter­pro­jekt. Auch sahen die­se Illus­tra­tio­nen zum Teil noch ganz anders aus, als dann Jah­re spä­ter in „Lind­bergh“. Es war ein bun­ter Stilmix.

2011 war es dann an der Zeit, ein Diplom­pro­jekt zu wäh­len. Neben Sach­buch­i­deen – zum Bei­spiel über die Flug­pio­nier­brü­der Wright oder Howard Hug­hes – hat mich auch die Kin­der­buch­i­dee rund um eine flie­gen­de Maus nie­mals los­ge­las­sen und wur­de mei­ne offi­zi­el­le Abschluss­ar­beit. Unter dem Arbeits­ti­tel „Lind­bergh“ ent­stand dann das Buch in inten­si­ven insel­ar­ti­gen Arbeits­pha­sen 2011 und 2012 – zunächst noch als Vor­le­se­buch mit län­ge­rem Text. Zur Kin­der­buch­mes­se in Bolo­gna 2013 erfolg­te dann noch eine Umge­stal­tung hin zum rei­nen Bil­der­buch mit kür­ze­ren Text­pas­sa­gen. Dort hat letzt­lich auch Her­wig Bit­sche vom Nord­Süd-Ver­lag „Lind­bergh“ in der Illus­tra­to­ren­aus­stel­lung ent­deckt und ist in Kon­takt mit mir getre­ten. Das ist die klei­ne Ent­ste­hungs­ge­schich­te hin­ter dem Buch.

Das schöns­te an Bil­der­ge­schich­ten ist, dass man manch­mal nur einen Rah­men schaf­fen muss, der dann die Fan­ta­sie beflügelt.“

Buch­he­xe: Im Buch fällt auf, dass die Tie­re nicht spre­chen, sie haben auch kei­ne Namen, (von „Lind­bergh“, der ja so im Buch sel­ber auch nicht benannt wird, ein­mal abge­se­hen). War das eine bewuss­te Ent­schei­dung und war es auch in der Ver­si­on als Vor­le­se­buch so konzipiert?

Tor­ben Kuhl­mann: In der Tat war die Stumm­heit der Tie­re eine bewuss­te Ent­schei­dung – eine die schon sehr früh getrof­fen wur­de. Meh­re­re Gedan­ken­gän­ge führ­ten zu die­ser Über­le­gung. Mein Ziel war es, eine über­zeu­gen­de und glaub­haft wir­ken­de Welt zu erschaf­fen. Sowohl die Sze­ne­rien und auch die Tie­re und Men­schen sind nicht „sti­li­siert“. Eine Maus in Lind­bergh sieht aus und bewegt sich wie eine rea­le Maus. Sie geht nicht auf zwei Bei­nen und sie spricht nicht – anders als die übli­chen, eher ver­mensch­lich­ten Maus­e­cha­rak­te­re in Zei­chen­trick­fil­men. Und dadurch ist es umso erstaun­li­cher, dass eine so nor­mal wir­ken­de Maus ein sol­ches Aben­teu­er erlebt und man am Ende fast glau­ben will, dass sich die­se Geschich­te auch genau­so zuge­tra­gen hat.

Einen ähn­li­chen Effekt erlebt man übri­gens auch bei sei­nen Haus­tie­ren. Obwohl man eigent­lich kei­ne Ant­wort erwar­ten kann, redet man mit sei­nen Hams­tern, mit Kat­zen, Hun­den und Mäu­sen. Man ver­mu­tet einen bestimm­ten Cha­rak­ter, sie lie­gen einem am Her­zen und man stellt sich viel­leicht – beson­ders als Kind – die wil­des­ten Aben­teu­er vor, die die­se Tie­re erle­ben. Und das alles geschieht auch ohne dass sie spre­chen kön­nen. Und genau­so ist es mit der Maus – und allen ande­ren bepelz­ten und gefie­der­ten Zeit­ge­nos­sen im Buch.

Die Geschich­te lässt einen auch zum heim­li­chen Zeu­gen eines Aben­teu­ers wer­den. Und da die Gemein­schaft der Mäu­se, die Orga­ni­sa­ti­on der Kat­zen und das Flug­corps der Eulen so wort­los und vage blei­ben, kann man sich als Leser vie­le Gedan­ken dazu machen. Man ist ein­ge­la­den, sich selbst Sachen vor­zu­stel­len und wird so hof­fent­lich mehr in die Geschich­te hin­ein­ge­zo­gen. Das schöns­te an Bil­der­ge­schich­ten ist, dass man manch­mal nur einen Rah­men schaf­fen muss, der dann die Fan­ta­sie beflü­gelt. Jedes Kind kann sich sicher­lich viel fan­tas­ti­sche­re Sachen vor­stel­len, als ich müh­sam in vie­len Wor­ten vor­ge­ben könnte.

Aus die­sem Grund hat die Maus auch kei­nen Namen. Sie ist die Pro­jek­ti­ons­fi­gur, durch die der Leser die Geschich­te erlebt, kann also – wie ein Haus­tier – auch von jedem selbst benannt wer­den. Außer­dem wis­sen wir nicht, ob sich Mäu­se in ihrer Welt Namen geben. Und wenn ja, wären es bestimmt ande­re als so mensch­li­che Namen wie Fri­do­lin oder Klaus…

Ich mag die Mischung aus genau­en Stri­chen und Schraf­fu­ren und den manch­mal etwas unbe­re­chen­ba­ren Aquarellflecken.“

Buch­he­xe: Sie erwähn­ten einen Stil­mix in der Ver­si­on des Semes­ter­pro­jekts, kön­nen Sie uns davon eine Kost­pro­be geben? Sie bevor­zu­gen den Zei­chen­stift und Aqua­rell­ma­le­rei, zu Ihrem Reper­toire gehö­ren aber auch die Acryl- und Ölma­le­rei sowie das digi­ta­le Arbei­ten. Haben Sie Ihren Stil gefun­den und blei­ben ihm treu oder kön­nen Sie sich auch ein Bil­der­buch mit einer ande­ren Tech­nik als die bei „Lind­bergh“ ange­wand­te vorstellen?

Tor­ben Kuhl­mann: Ger­ne kann ich ein paar Bei­spie­le der frü­he­ren Arbei­ten zei­gen. Damals hieß das Pro­jekt noch „Migh­ty Mou­se Fly­ing Cir­cus“ – der Zir­kus der flie­gen­den Maus. Eine die­ser frü­hen Illus­tra­tio­nen deu­tet schon den spä­te­ren Lind­berg-Stil an. Hier steht eine etwas mensch­li­cher aus­se­hen­de Maus auf einem Kran am Ham­bur­ger Hafen. Es ist eine detail­ier­te Zeich­nung mit Blei­stift und Fine­li­ner, anschlie­ßend mit Aqua­rell­far­ben kolo­riert. Dies wur­de dann mei­ne Lieb­lings­tech­nik. Ich mag die Mischung aus genau­en Stri­chen und Schraf­fu­ren und den manch­mal etwas unbe­re­chen­ba­ren Aqua­rell­fle­cken. Es war die­ses Bild, das den Grund­stein für das spä­te­re Buch­pro­jekt mit dem Arbeits­ti­tel Lind­bergh leg­te. Eine Neu­in­ter­pre­ta­ti­on des Motivs ist auch im fer­ti­gen Buch zu fin­den. Die Maus sieht aller­dings recht anders aus.

Torben Kuhlmann - FlyingMouse-Hafen

Ich möch­te in Zukunft ger­ne wei­te­re Pro­jek­te auch mit ande­ren Sti­len ange­hen. Zum Bei­spiel könn­te ich mir gut vor­stel­len, ein Buch mit Akryl­far­ben und dar­über gezeich­ne­tem Bunt­stift umzu­set­zen. Ein paar der frü­hen Mau­se­bil­der waren in die­ser Tech­nik. Das wäre dann ganz anders als bei Lind­bergh, aber es wäre den­noch „mein Stil“. Mal gucken, wel­che Geschich­te sich dafür anbietet?!

Torben Kuhlmann - FlyingMouse-TräumeTorben Kuhlmann - FlyingMouse-Held
Buch­he­xe: Wie lan­ge benö­ti­gen Sie für eine dop­pel­sei­ti­ge Illus­tra­ti­on, wie etwa die Bahn­hofs- oder Hafen­sze­ne, und was war zuerst da: Bild oder Text?

Tor­ben Kuhl­mann: Das ist schwie­rig zu sagen. Bei gro­ßen Pan­ora­men ist immer viel Vor­ar­beit zu leis­ten. Man muss mehr recher­chie­ren und sich in sei­nen Skiz­zen stär­ker an das Bild her­an­tas­ten. Wenn dann eine gute Vor­be­rei­tung auf ein­set­zen­de Inspi­ra­ti­on und Arbeits­wut trifft, kann es recht flott gehen. Die Zeich­nung steht dann in weni­gen Tagen. Genau­so lan­ge dau­ert dann die Kolo­rie­rung mit Aqua­rell­far­ben. Aber eine Stan­dard­zeit kann ich dafür nicht angeben.

Im Fall von Lind­bergh ent­wi­ckel­ten sich Text und Bild par­al­lel. Zuerst hat­te ich eine gro­be Idee der gesam­ten Geschich­te mit ein paar schon etwas kon­kre­te­ren Kapi­teln. Ich habe dann zunächst ein paar Schlüs­sel­sze­nen illus­triert und mich so in mei­ne eige­ne Geschich­te hin­ein­ge­ar­bei­tet. Drum­her­um konn­te ich dann eine ers­te Text­fas­sung schrei­ben und wei­te­re Bil­der dazu bas­teln. Wäh­rend­des­sen spros­sen auch immer neue Ideenzwei­ge und die Geschich­te wuchs bestän­dig. Ganz zum Schluss wur­den dann Bild und Text auf­ein­an­der zuge­schlif­fen. Hier war es auch unglaub­lich hilf­reich, mit Suzan­ne Leves­que jeman­den zu haben, der eine zwei­te Mei­nung ein­ge­bracht hat und mir – vor allem bei ihrer Über­set­zungs­ar­beit für die eng­li­sche Fas­sung – zei­gen konn­te, wo noch etwas unklar war oder etwas noch nicht ganz „rund“ klang.

Und dann hat man kei­ne Vor­ga­ben und kei­ne zur Arbeit mah­nen­den Abgabetermine.“

Buch­he­xe: Was war das Schwie­rigs­te am Buch?

Tor­ben Kuhl­mann: Das Schwie­rigs­te war „am Ball zu blei­ben“. Lind­bergh star­te­te als völ­lig selbst­ver­ant­wort­li­ches Pro­jekt und ich war sel­ber für die Moti­va­ti­on zustän­dig. Und nach­dem man mona­te­lang in sei­ner Ate­lier­ecke sitzt und von mor­gens bis abends klei­ne Mäu­se zeich­net, wird man manch­mal etwas betriebs­blind, kann auf die eige­nen Bil­der nicht mehr objek­tiv drauf­se­hen und zwei­felt, ob das über­haupt jemals alles so zusam­men­pas­sen wird, wie man sich das vor­stellt. Und dann hat man kei­ne Vor­ga­ben und kei­ne zur Arbeit mah­nen­den Abga­be­ter­mi­ne. Aber ein moti­vie­ren­der Schul­ter­klop­fer von Kol­le­gen bewirkt da wah­re Wunder.

Buch­he­xe: Haben Sie eine Lieb­lings­stel­le oder -illus­tra­ti­on in „Lind­bergh“?

Tor­ben Kuhl­mann: Am liebs­ten mag ich den Ein­stieg in die Geschich­te: Das Por­trait einer Mau­se­welt im frü­hen 20sten Jahr­hun­dert. Erst lang­sam setzt die Erzäh­lung ein…

Es gibt eini­ge Lieb­lings­bil­der in Lind­bergh, aber das Bild der Eule, die durch ein run­des Fens­ter in die Mau­se­werk­statt starrt, habe ich mir gerahmt in die Woh­nung gehängt.

Illustration aus Lindbergh von Torben Kuhlmann - Lindbergh-Werkstatt

Buch­he­xe: Ist die Geschich­te um die flie­gen­de Maus abge­schlos­sen oder wird es womög­lich eine Fort­set­zung geben? Obwohl das Bil­der­buch mit 96 Sei­ten deut­lich län­ger als die gän­gi­gen 32 Sei­ten des Gen­res gewor­den ist, erwähn­ten Sie län­ge­re Text­pas­sa­gen, die für das Bil­der­buch gekürzt wur­den. Sicher ste­cken dar­in noch vie­le Ideen?

Tor­ben Kuhl­mann: Lind­bergh war ja zunächst nicht unbe­dingt als Fort­set­zungs­ge­schich­te geplant, aber es gibt noch so vie­le unver­wen­de­te Ideen – die selbst auf 96 Sei­ten nicht mehr unter­zu­brin­gen waren. Nord­Süd zeigt sich auch schon sehr offen und inter­es­siert, so dass „Lind­bergh“ viel­leicht nur das ers­te Kapi­tel einer klei­nen „Chro­nik der Mau­se­luft­fahrt“ sein könn­te… Wer weiß?

Torben Kuhlmann - Mauseskizzen

Vie­le Momen­te könn­te ich mir sehr gut als span­nungs­ge­la­de­ne Film­sze­nen vor­stel­len, bei­spiels­wei­se das Finale.“

Buch­he­xe: Es gibt einen Buch­trai­ler, es besteht die Chan­ce auf eine Fort­set­zung, Sie las­sen sich von Fil­men inspi­rie­ren und haben vie­le Ideen. Ist grund­sätz­lich eine fil­mi­sche Umset­zung, eine Ani­ma­ti­on des „Lindbergh“-Stoffs, denkbar?

Tor­ben Kuhl­mann: Aber ja! Gra­de aus mei­ner Sicht ist eine fil­mi­sche Umset­zung sehr gut denk­bar. Vie­le Hand­lungs­de­tails lau­fen vor mei­nem geis­ti­gen Auge ohne­hin als klei­ne beweg­te Sze­nen ab. Mei­ne Auf­ga­be beim Illus­trie­ren ist dann, das idea­le Stand­bild zu fin­den und abzu­zeich­nen. Vie­le Momen­te könn­te ich mir sehr gut als span­nungs­ge­la­de­ne Film­sze­nen vor­stel­len, bei­spiels­wei­se das Fina­le. Die Maus prä­pa­riert ihr Flug­ge­rät hoch oben über den Dächern der Stadt, es ist neb­lig und duns­tig. Der Pro­pel­ler surrt und brummt, aber ein wei­te­res Geräusch mischt sich ein… lau­te Flü­gel­schlä­ge. Dann, Groß­auf­nah­me der klei­nen Maus. Sie guckt hin­ter sich. Unter ihrer Flie­ger­bril­le reißt sie die klei­nen schwar­zen Augen erschreckt auf. Schnitt. Hin­ter dem Flug­zeug erscheint bedroh­lich die Sil­hou­et­te eines rie­si­gen Vogels. Schnitt. Im Inne­ren des Cock­pits löst die Maus panisch die Brem­sen. Schnitt. Das Flug­zeug macht einen Satz nach vor­ne und rast auf die Kan­te zu. Schnitt. Die Augen der her­an­ra­sen­den Eule fun­keln. In ihnen spie­gelt sich schon das klei­ne Flugzeug…

Es lässt sich so viel Span­nung durch das Mit­ein­an­der von Bild, Film­schnitt und Musik erzeu­gen und es wür­de mich freu­en, wenn viel­leicht irgend­wann „Lind­bergh“ auch zu fil­mi­schen Ehren kom­men würde.

Ein Groß­teil des Lind­bergh-Tex­tes ist in den Wag­gons der Nord-Ost­see-Bahn zwi­schen Ham­burg und Wes­ter­land entstanden.“

Buch­he­xe: Wo und wann kom­men Ihnen die bes­ten Ideen?

Tor­ben Kuhl­mann: Ideen kom­men immer plötz­lich und uner­war­tet. Lei­der las­sen sie sich auch nur sel­ten erzwin­gen. Aller­dings habe ich in den letz­ten Jah­ren sich bewäh­ren­de Inspi­ra­ti­ons­aus­flü­ge ent­wi­ckelt. Von Ham­burg aus ist man mit dem Zug schnell am Meer und nichts befreit die Gedan­ken mehr als eine lan­ge Wan­de­rung am Meer. Und auch die Zug­fahrt dort­hin lässt sich schon nut­zen. Ein Groß­teil des Lind­bergh-Tex­tes ist in den Wag­gons der Nord-Ost­see-Bahn zwi­schen Ham­burg und Wes­ter­land entstanden.

Nichts begeis­tert mich mehr, als ‚eige­ne Wel­ten‘ ent­ste­hen zu las­sen und es ist auch genau das, was mich bei ande­ren Wer­ken am meis­ten fesselt.“

Buch­he­xe: Wel­che Autoren / Illus­tra­to­ren schät­zen Sie beson­ders bzw. wel­che haben Ihre Arbeit beeinflusst?

Tor­ben Kuhl­mann: Die Fra­ge nach mei­nen Ein­flüs­sen ist gar nicht so ein­fach zu beant­wor­ten. Sicher­lich sind da ein paar Künst­ler und Illus­tra­to­ren zu nen­nen, vor allem die Ame­ri­ka­ner John Sin­ger Ser­gant (als gro­ßes Aqua­rell­vor­bild) und Nor­man Rock­well. Unter mei­nen Lieb­lings­bü­chern fin­den sich vie­le eng­lisch­spra­chi­ge Klas­si­ker, von Charles Dickens bis Bram Sto­ker. Als größ­ten Ein­fluss auf mei­ne Arbeit ist aber sicher­lich das Medi­um Film zu nen­nen: Das fan­ta­sie­rei­che Hol­ly­wood der 1980er, vie­le Regis­seu­re mit star­ker Bild­spra­che und Cine­ma­to­gra­phie (wie zum Bei­spiel die Coen Brü­der) und die Ani­ma­ti­ons­fil­me des japa­ni­schen Stu­di­os Ghi­b­li. Nichts begeis­tert mich mehr, als „eige­ne Wel­ten“ ent­ste­hen zu las­sen und es ist auch genau das, was mich bei ande­ren Wer­ken am meis­ten fes­selt. Ich bin ein gro­ßer „Making Of“ Freund. Skiz­zen­samm­lun­gen, Ideen und Ent­wür­fe, die dann zu etwas Grö­ße­rem wer­den – einem Bil­der­buch oder einem Film – fin­de ich end­los inspirierend.

Torben Kuhlmann - Entdeckung am Hafen-Skizzen

Buch­he­xe: Wenn Sie nicht eige­ne Wel­ten ent­ste­hen las­sen, in wel­che Welt wür­den Sie ger­ne ein­mal reisen?

Tor­ben Kuhl­mann: Oh, mei­nen Sie hier eine rea­le oder eine fik­tio­na­le Welt? Ich wür­de ger­ne – wenn das mög­lich wäre – ein­mal Urlaub in ver­schie­de­nen Sci­ence-Fic­tion-Wel­ten machen, zum Bei­spiel in denen von Jules Ver­ne. In der Rea­li­tät locken mich „rau­he“ Land­schaf­ten: Schott­land, Schwe­den, Neu­see­land, Kana­da oder das ewi­ge Eis der Arktis.

Buch­he­xe: Als Rezen­sent darf ich mich natür­lich, solan­ge es die Zeit her­gibt, mit vie­len Büchern beschäf­ti­gen. Viel­leicht ist es als Künst­ler bes­ser, nicht zu viel ande­res zu sehen? Lesen Sie ande­re Bil­der­bü­cher und haben Sie ein Lieblingsbuch?

Tor­ben Kuhl­mann: Ich kann mich fabel­haft von ande­ren Bil­der­bü­chern inspi­rie­ren las­sen. Häu­fig sind es Bücher, die einen völ­lig ande­ren Stil haben, zum Bei­spiel die Hut-Bücher von Jon Klas­sen. Ich kann mich an gut gestal­te­ten Büchern sehr erfreu­en. Manch­mal braucht es dazu nur eine pfif­fi­ge Typo­gra­fie oder ähn­li­che Details. Es ist dann nicht so, dass man irgend­et­was nach­ma­chen möch­te. Viel­mehr ist man inspi­riert und moti­viert, sel­ber etwas zu schaffen.

Ein neu­es Lieb­lings­buch, das ich erst vor kur­zem ent­deckt habe, ist der ame­ri­ka­ni­sche Klas­si­ker „The Litt­le Red Light­house and the Gre­at Gray Bridge“. „Wo die wil­den Ker­le woh­nen“ fin­de ich auch großartig.

Torben Kuhlmann - New York-Vorzeichnu

Es kann auch düs­ter und trau­rig sein, solan­ge alles auf ein gutes Ende hinläuft.“

Buch­he­xe: Was macht für Sie ein gutes Bil­der­buch aus?

Tor­ben Kuhl­mann: Ich den­ke, gute Bil­der­bü­cher spre­chen Kin­der und auch Erwach­se­ne auf meh­re­ren Ebe­nen an. Die gra­fi­sche Gestal­tung ist dabei nur ein Bau­stein unter vie­len. Wenn ich zurück­bli­cke, erin­ne­re ich mich vor allem an die Bücher, die mich als Kind in irgend­ei­ner Wei­se her­aus­ge­for­dert haben, sei es durch eine gewis­se Düs­ter­nis oder eher erwach­se­ne The­men. Dies muss gar nicht auf den ers­ten Blick ersicht­lich sein. Ein Bei­spiel wäre der Klas­si­ker „Wo die wil­den Ker­le woh­nen“. Dies funk­tio­niert wun­der­bar als gerad­li­ni­ge Geschich­te eines träu­men­den Jun­gen, der wil­de Ker­le und freund­li­che Mons­ter ersinnt. Aber ich hat­te schon immer den Ein­druck, dass dahin­ter mehr steckt: Ein erwach­se­ne­res The­ma. So war jeden­falls mein kind­li­cher Ein­druck und ich fühl­te mich als Kind ernst genom­men. Ich glau­be, das ist es, was vie­le Bücher zu Klas­si­kern wer­den ließ. Auch präg­ten mich eher düs­te­re und unheim­li­che Pas­sa­gen in Bil­der­bü­chern. Bil­der, vor denen ich als ganz klei­ner Jun­ge etwas Angst hat­te, haben sich ein­ge­prägt, ich habe mich mit ihnen beschäf­tigt und mich viel­leicht auch mit dem, was mir Angst mach­te, aus­ein­an­der­ge­setzt. Heu­te erin­ne­re ich mich noch an die­se Bil­der und sie beein­flus­sen sogar mei­ne Arbeit. Auch im Zei­chen­trick­film sehe ich die­ses Phä­no­men. Ich mei­ne, es war der ame­ri­ka­ni­sche Zei­chen­trick­fil­mer Don Bluth, des­sen Cre­do es war, dass eine Kin­der­ge­schich­te ein Kind nicht aus­nahms­los in Wat­te packen müs­se. Es kann auch düs­ter und trau­rig sein, solan­ge alles auf ein gutes Ende hin­läuft. Das fin­det man auch in vie­len frü­hen Dis­ney-Fil­men. Hier sei nur das Schick­sal von Bam­bis Mut­ter zu nen­nen. Wenn also auch ein Bil­der­buch durch sei­ne Geschich­te, sei­ne Bild­spra­che und The­men ein Kind ernst nimmt und es dazu ein­lädt, sich mit Din­gen aus­ein­an­der­zu­set­zen, ist das ein wun­der­ba­rer Erfolg. Ich fin­de, das ist das Wun­der­ba­re am Geschich­ten­er­zäh­len! Und ich hof­fe, dass es in vie­len Jah­ren auch Leu­te gibt, die sich auf die­se Wei­se an die Geschich­te einer flie­gen­den Maus zurückerinnern.

Buch­he­xe: An wel­chem Ort arbei­ten Sie am liebs­ten? Gibt es so etwas wie ein Atelier?

Tor­ben Kuhl­mann: Das ist noch eine Bau­stel­le in mei­nem Leben. Zur­zeit habe ich nur eine klei­ne Arbeits­ecke in mei­ner Woh­nung. Auf Dau­er wird das aber zu eng. Außer­dem ist es nicht gut, wenn Arbeit und Pri­va­tes räum­lich über­haupt nicht von­ein­an­der getrennt sind. Auf Dau­er wün­sche ich mir einen geräu­mi­gen Ate­lier­platz irgend­wo in Hamburg.

Buch­he­xe: Gibt es eine bestimm­te Jah­res­zeit, in der sie ger­ne malen, und eine bestimm­te Tages­zeit oder Wochentage?

Tor­ben Kuhl­mann: Als Aqua­rell­ma­ler brau­che ich Licht, des­halb macht mir der Win­ter mit sei­ner aus­ufern­den Dun­kel­heit in die­ser Bezie­hung etwas zu schaf­fen. Zwar besit­ze ich eine Tages­licht­lam­pe, die sorgt aber lei­der nicht für stim­mungs­er­hel­len­den Son­nen­schein vor mei­nem Fens­ter. Abge­se­hen davon, dass mir die Tage zu kurz sind, mag ich aller­dings den Win­ter mit sei­nen Eigen­hei­ten, eben­so kann ich allen ande­ren Jah­res­zei­ten viel abge­win­nen. Am bes­ten Arbei­ten lässt es sich aber im frü­hen oder spä­ten Som­mer: Viel Licht, nicht all­zu heiß und die län­ge­re Hel­lig­keit erlaubt noch abend­li­che Fahr­rad­tou­ren oder Tref­fen mit Freunden.

Musik ist ohne­hin ein wich­ti­ger Bestand­teil mei­nes Lebens.“

Buch­he­xe: Was machen Sie, wenn Sie nicht gera­de zeich­nen oder Geschich­ten schreiben?

Tor­ben Kuhl­mann: Wenn ich mal nicht illus­trie­re, ver­su­che ich so oft wie mög­lich lan­ge Wan­de­run­gen am Meer zu unter­neh­men oder wei­te Fahr­rad­tou­ren rund um Ham­burg. Ich ver­brin­ge aber auch ger­ne Zeit am Kla­vier – oder hier in Ham­burg an dem etwas klei­ne­ren Key­board. Musik ist ohne­hin ein wich­ti­ger Bestand­teil mei­nes Lebens. Ich bin ger­ne über mei­ne Lieb­lings­gen­res in der Musik auf dem Laufenden.

Fami­lie und Freun­de haben bei mir auch höchs­te Priorität.

Ich hof­fe, dass ich irgend­wann auf eine gan­ze Biblio­thek an von mir illus­trier­ten Büchern zurück­bli­cken kann.“

Buch­he­xe: Sie illus­trie­ren auch für Natio­nal Geo­gra­phic oder Stern und arbei­ten für eine Wer­be­agen­tur. Lind­bergh ist ihr ers­tes Bil­der­buch. Wo sehen Sie Ihre Zukunft? Kön­nen Sie sich auch vor­stel­len, Wer­ke ande­rer Autoren zu illustrieren?

Tor­ben Kuhl­mann: Auf lan­ge Sicht wür­de ich natür­lich ger­ne mehr und mehr „eige­ne“ Pro­jek­te machen. Die sehr posi­ti­ve Erfah­rung mit Lind­bergh ist dabei ein gro­ßer Moti­va­tor. Ich mag aber auch den Mix an ver­schie­de­nen Auf­ga­ben, die mir immer wie­der gege­ben wer­den. Es ist sehr inter­es­sant, sich für eine eher wis­sen­schaft­li­che Illus­tra­ti­on oder his­to­ri­sche Rekon­struk­ti­on in ein The­ma ein­zu­ar­bei­ten und kurz­fris­tig ein Fach­mann für etwas zu wer­den. Knap­pe Abga­be­ter­mi­ne und viel Auf­wand for­dern eine kur­ze Hoch­druck-Arbeits­pha­se. In der Fol­ge­wo­che kommt dann wie­der etwas völ­lig ande­res. Und eine per­ma­nen­te Kon­stan­te könn­ten Bil­der­bü­cher sein. Ich hof­fe, dass ich irgend­wann auf eine gan­ze Biblio­thek an von mir illus­trier­ten Büchern zurück­bli­cken kann. Ich kann mir aber eben­so vor­stel­len, Klas­si­ker zu illus­trie­ren oder mit einem gut kor­re­spon­die­ren­den Autor zusammenzuarbeiten.

Buch­he­xe: Was kön­nen wir 2014 von Ihnen erwar­ten, was erwar­ten Sie sich von die­sem Jahr? Wor­an arbei­ten Sie gera­de – sofern Sie das schon ver­ra­ten dürfen?

Tor­ben Kuhl­mann: Lind­bergh ist der „Gro­ße Bro­cken“ in die­sem Jahr. Zunächst erfolgt die Ver­öf­fent­li­chung im Janu­ar hier in Deutsch­land und im Mai dann in den USA. Wei­te­re Ideen und Pro­jek­te sind teil­wei­se noch in der ers­ten Kon­zep­ti­ons­pha­se. Ich hof­fe aber, dass der Lind­bergh-Zug mich mit­reißt und viel­leicht auch schon 2014 vie­le neue Sachen dazu­kom­men. Ich möch­te auch wie­der mehr unter­wegs zeich­nen und grö­ße­re Land­schafts­bil­der und Stadt­an­sich­ten malen. Für den Lind­bergh-Release bin ich Ende Mai in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und brin­ge hof­fent­lich vie­le Bild­ideen und Inspi­ra­tio­nen hier­für mit.

Torben Kuhlmann - Buchhexe

Torben-Kuhlmann

Es ist immer etwas Beson­de­res, einen Illus­tra­tor oder Autor, den man beson­ders schätzt, inter­view­en und ihn von Anfang an beglei­ten zu dür­fen. Für vie­le, die ich bewun­de­re oder ent­de­cke, bin ich zu spät gebo­ren wor­den. Bei Tor­ben Kuhl­mann, der erst am Anfang einer hof­fent­lich von Erfol­gen gekrön­ten Lauf­bahn steht, ist dies glück­li­cher­wei­se anders. So freu­en wir uns auf wei­te­re Bücher von ihm, sind gespannt dar­auf, wie es mit „Lind­bergh“ wei­ter­geht, und dan­ken ihm viel­mals für die Zeit, die er der Buch­he­xe geschenkt hat und die wun­der­schö­nen Buch­he­xen, die er uns gezeich­net hat!