Interview mit Torben Kuhlmann
Wir haben Illustrator und "Lindbergh"-Erfinder Torben Kuhlmann, der mit seinem Bilderbuch über eine fliegende Maus beim Schweizer NordSüd Verlag debütierte, Fragen zu seiner Arbeit und seinem ersten Buch gestellt.
Torben Kuhlmann habe ich durch den Bericht des Buchmarkts über die Kinderbuchmesse in Bologna kennengelernt, in der er als Entdeckung erwähnt wurde. Ich war durch die Bilder, die ich nach dem Besuch auf seiner Website sehen konnte, sofort von ihm überzeugt und meine Begeisterung mündete in einer E-Mail, die noch am selben Tag eine Beantwortung fand. Ich hatte mich schon an diesem 2. April festgelegt: „Ohne es gelesen zu haben, reichen die Bilder und die Beschreibung auf Ihrer Website für mich aus, um zu wissen, dass dies etwas sehr Besonderes ist, vielen Dank dafür!“ Einige Monate später, es war mittlerweile November geworden, flatterte uns die Vorschau des NordSüd Verlags ins Hexenhaus mit „Lindbergh“ auf dem Titelblatt. Nun ist es Januar und das Buch liegt neben mir auf dem Schreibtisch. Dass Herr Kuhlmann der Bitte um ein Interview nachgekommen ist, ehrt die Buchhexe sehr!
„Die Idee einer fliegenden Maus kam plötzlich, schien mir dann aber unglaublich logisch.“
Buchhexe: Wie sind Sie auf die Idee zu Lindbergh gekommen? Und wie ging es dann weiter? Wie lange hat es bis zum fertigen Buch gedauert?
Torben Kuhlmann: Die Fliegerei und die Luftfahrtgeschichte haben mich schon immer fasziniert, besonders in der Kindheit. Damals habe ich nicht nur viele Flugzeuge und andere Maschinen gezeichnet und gemalt – auf eine Wand in meinem Kinderzimmer malte ich gar eine Collage mit Motiven der Luftfahrt – sondern habe auch kleine und mittelgroße Modelle gebastelt. Recht früh während meines Illustrationsstudiums 2006 suchte ich mir dann ein Projekt im Bereich Kinderbuch. Und da keimte meine alte Begeisterung für die Luftfahrtgeschichte wieder auf. Die Idee einer fliegenden Maus kam plötzlich, schien mir dann aber unglaublich logisch. Zum einen sollte der Protagonist ein Tier sein, das in der Menschenwelt vorkommt, wie zum Beispiel eine Maus. Mäuse trifft man nun mal in vielen Kellern, Küchen oder Dachböden an. Ihre kleinen Nagetierhände sehen fast menschlich aus und machen es fast schon glaubhaft, dass sie damit Sachen aus der Menschenwelt stibitzen und kleine Maschinen basteln können. Die zweite Initiationsidee war der Gedanke, dass eine Maus eine Fledermaus trifft und dadurch inspiriert wird, selber das Fliegen zu lernen. 2006 entstanden dann mehrere Bilder zu dieser Kinderbuchidee, jedoch war die Anzahl begrenzt – es war ja nur ein Semesterprojekt. Auch sahen diese Illustrationen zum Teil noch ganz anders aus, als dann Jahre später in „Lindbergh“. Es war ein bunter Stilmix.
2011 war es dann an der Zeit, ein Diplomprojekt zu wählen. Neben Sachbuchideen – zum Beispiel über die Flugpionierbrüder Wright oder Howard Hughes – hat mich auch die Kinderbuchidee rund um eine fliegende Maus niemals losgelassen und wurde meine offizielle Abschlussarbeit. Unter dem Arbeitstitel „Lindbergh“ entstand dann das Buch in intensiven inselartigen Arbeitsphasen 2011 und 2012 – zunächst noch als Vorlesebuch mit längerem Text. Zur Kinderbuchmesse in Bologna 2013 erfolgte dann noch eine Umgestaltung hin zum reinen Bilderbuch mit kürzeren Textpassagen. Dort hat letztlich auch Herwig Bitsche vom NordSüd-Verlag „Lindbergh“ in der Illustratorenausstellung entdeckt und ist in Kontakt mit mir getreten. Das ist die kleine Entstehungsgeschichte hinter dem Buch.
„Das schönste an Bildergeschichten ist, dass man manchmal nur einen Rahmen schaffen muss, der dann die Fantasie beflügelt.“
Buchhexe: Im Buch fällt auf, dass die Tiere nicht sprechen, sie haben auch keine Namen, (von „Lindbergh“, der ja so im Buch selber auch nicht benannt wird, einmal abgesehen). War das eine bewusste Entscheidung und war es auch in der Version als Vorlesebuch so konzipiert?
Torben Kuhlmann: In der Tat war die Stummheit der Tiere eine bewusste Entscheidung – eine die schon sehr früh getroffen wurde. Mehrere Gedankengänge führten zu dieser Überlegung. Mein Ziel war es, eine überzeugende und glaubhaft wirkende Welt zu erschaffen. Sowohl die Szenerien und auch die Tiere und Menschen sind nicht „stilisiert“. Eine Maus in Lindbergh sieht aus und bewegt sich wie eine reale Maus. Sie geht nicht auf zwei Beinen und sie spricht nicht – anders als die üblichen, eher vermenschlichten Mausecharaktere in Zeichentrickfilmen. Und dadurch ist es umso erstaunlicher, dass eine so normal wirkende Maus ein solches Abenteuer erlebt und man am Ende fast glauben will, dass sich diese Geschichte auch genauso zugetragen hat.
Einen ähnlichen Effekt erlebt man übrigens auch bei seinen Haustieren. Obwohl man eigentlich keine Antwort erwarten kann, redet man mit seinen Hamstern, mit Katzen, Hunden und Mäusen. Man vermutet einen bestimmten Charakter, sie liegen einem am Herzen und man stellt sich vielleicht – besonders als Kind – die wildesten Abenteuer vor, die diese Tiere erleben. Und das alles geschieht auch ohne dass sie sprechen können. Und genauso ist es mit der Maus – und allen anderen bepelzten und gefiederten Zeitgenossen im Buch.
Die Geschichte lässt einen auch zum heimlichen Zeugen eines Abenteuers werden. Und da die Gemeinschaft der Mäuse, die Organisation der Katzen und das Flugcorps der Eulen so wortlos und vage bleiben, kann man sich als Leser viele Gedanken dazu machen. Man ist eingeladen, sich selbst Sachen vorzustellen und wird so hoffentlich mehr in die Geschichte hineingezogen. Das schönste an Bildergeschichten ist, dass man manchmal nur einen Rahmen schaffen muss, der dann die Fantasie beflügelt. Jedes Kind kann sich sicherlich viel fantastischere Sachen vorstellen, als ich mühsam in vielen Worten vorgeben könnte.
Aus diesem Grund hat die Maus auch keinen Namen. Sie ist die Projektionsfigur, durch die der Leser die Geschichte erlebt, kann also – wie ein Haustier – auch von jedem selbst benannt werden. Außerdem wissen wir nicht, ob sich Mäuse in ihrer Welt Namen geben. Und wenn ja, wären es bestimmt andere als so menschliche Namen wie Fridolin oder Klaus…
„Ich mag die Mischung aus genauen Strichen und Schraffuren und den manchmal etwas unberechenbaren Aquarellflecken.“
Buchhexe: Sie erwähnten einen Stilmix in der Version des Semesterprojekts, können Sie uns davon eine Kostprobe geben? Sie bevorzugen den Zeichenstift und Aquarellmalerei, zu Ihrem Repertoire gehören aber auch die Acryl- und Ölmalerei sowie das digitale Arbeiten. Haben Sie Ihren Stil gefunden und bleiben ihm treu oder können Sie sich auch ein Bilderbuch mit einer anderen Technik als die bei „Lindbergh“ angewandte vorstellen?
Torben Kuhlmann: Gerne kann ich ein paar Beispiele der früheren Arbeiten zeigen. Damals hieß das Projekt noch „Mighty Mouse Flying Circus“ – der Zirkus der fliegenden Maus. Eine dieser frühen Illustrationen deutet schon den späteren Lindberg-Stil an. Hier steht eine etwas menschlicher aussehende Maus auf einem Kran am Hamburger Hafen. Es ist eine detailierte Zeichnung mit Bleistift und Fineliner, anschließend mit Aquarellfarben koloriert. Dies wurde dann meine Lieblingstechnik. Ich mag die Mischung aus genauen Strichen und Schraffuren und den manchmal etwas unberechenbaren Aquarellflecken. Es war dieses Bild, das den Grundstein für das spätere Buchprojekt mit dem Arbeitstitel Lindbergh legte. Eine Neuinterpretation des Motivs ist auch im fertigen Buch zu finden. Die Maus sieht allerdings recht anders aus.
Ich möchte in Zukunft gerne weitere Projekte auch mit anderen Stilen angehen. Zum Beispiel könnte ich mir gut vorstellen, ein Buch mit Akrylfarben und darüber gezeichnetem Buntstift umzusetzen. Ein paar der frühen Mausebilder waren in dieser Technik. Das wäre dann ganz anders als bei Lindbergh, aber es wäre dennoch „mein Stil“. Mal gucken, welche Geschichte sich dafür anbietet?!
Buchhexe: Wie lange benötigen Sie für eine doppelseitige Illustration, wie etwa die Bahnhofs- oder Hafenszene, und was war zuerst da: Bild oder Text?
Torben Kuhlmann: Das ist schwierig zu sagen. Bei großen Panoramen ist immer viel Vorarbeit zu leisten. Man muss mehr recherchieren und sich in seinen Skizzen stärker an das Bild herantasten. Wenn dann eine gute Vorbereitung auf einsetzende Inspiration und Arbeitswut trifft, kann es recht flott gehen. Die Zeichnung steht dann in wenigen Tagen. Genauso lange dauert dann die Kolorierung mit Aquarellfarben. Aber eine Standardzeit kann ich dafür nicht angeben.
Im Fall von Lindbergh entwickelten sich Text und Bild parallel. Zuerst hatte ich eine grobe Idee der gesamten Geschichte mit ein paar schon etwas konkreteren Kapiteln. Ich habe dann zunächst ein paar Schlüsselszenen illustriert und mich so in meine eigene Geschichte hineingearbeitet. Drumherum konnte ich dann eine erste Textfassung schreiben und weitere Bilder dazu basteln. Währenddessen sprossen auch immer neue Ideenzweige und die Geschichte wuchs beständig. Ganz zum Schluss wurden dann Bild und Text aufeinander zugeschliffen. Hier war es auch unglaublich hilfreich, mit Suzanne Levesque jemanden zu haben, der eine zweite Meinung eingebracht hat und mir – vor allem bei ihrer Übersetzungsarbeit für die englische Fassung – zeigen konnte, wo noch etwas unklar war oder etwas noch nicht ganz „rund“ klang.
„Und dann hat man keine Vorgaben und keine zur Arbeit mahnenden Abgabetermine.“
Buchhexe: Was war das Schwierigste am Buch?
Torben Kuhlmann: Das Schwierigste war „am Ball zu bleiben“. Lindbergh startete als völlig selbstverantwortliches Projekt und ich war selber für die Motivation zuständig. Und nachdem man monatelang in seiner Atelierecke sitzt und von morgens bis abends kleine Mäuse zeichnet, wird man manchmal etwas betriebsblind, kann auf die eigenen Bilder nicht mehr objektiv draufsehen und zweifelt, ob das überhaupt jemals alles so zusammenpassen wird, wie man sich das vorstellt. Und dann hat man keine Vorgaben und keine zur Arbeit mahnenden Abgabetermine. Aber ein motivierender Schulterklopfer von Kollegen bewirkt da wahre Wunder.
Buchhexe: Haben Sie eine Lieblingsstelle oder -illustration in „Lindbergh“?
Torben Kuhlmann: Am liebsten mag ich den Einstieg in die Geschichte: Das Portrait einer Mausewelt im frühen 20sten Jahrhundert. Erst langsam setzt die Erzählung ein…
Es gibt einige Lieblingsbilder in Lindbergh, aber das Bild der Eule, die durch ein rundes Fenster in die Mausewerkstatt starrt, habe ich mir gerahmt in die Wohnung gehängt.
Buchhexe: Ist die Geschichte um die fliegende Maus abgeschlossen oder wird es womöglich eine Fortsetzung geben? Obwohl das Bilderbuch mit 96 Seiten deutlich länger als die gängigen 32 Seiten des Genres geworden ist, erwähnten Sie längere Textpassagen, die für das Bilderbuch gekürzt wurden. Sicher stecken darin noch viele Ideen?
Torben Kuhlmann: Lindbergh war ja zunächst nicht unbedingt als Fortsetzungsgeschichte geplant, aber es gibt noch so viele unverwendete Ideen – die selbst auf 96 Seiten nicht mehr unterzubringen waren. NordSüd zeigt sich auch schon sehr offen und interessiert, so dass „Lindbergh“ vielleicht nur das erste Kapitel einer kleinen „Chronik der Mauseluftfahrt“ sein könnte… Wer weiß?
„Viele Momente könnte ich mir sehr gut als spannungsgeladene Filmszenen vorstellen, beispielsweise das Finale.“
Buchhexe: Es gibt einen Buchtrailer, es besteht die Chance auf eine Fortsetzung, Sie lassen sich von Filmen inspirieren und haben viele Ideen. Ist grundsätzlich eine filmische Umsetzung, eine Animation des „Lindbergh“-Stoffs, denkbar?
Torben Kuhlmann: Aber ja! Grade aus meiner Sicht ist eine filmische Umsetzung sehr gut denkbar. Viele Handlungsdetails laufen vor meinem geistigen Auge ohnehin als kleine bewegte Szenen ab. Meine Aufgabe beim Illustrieren ist dann, das ideale Standbild zu finden und abzuzeichnen. Viele Momente könnte ich mir sehr gut als spannungsgeladene Filmszenen vorstellen, beispielsweise das Finale. Die Maus präpariert ihr Fluggerät hoch oben über den Dächern der Stadt, es ist neblig und dunstig. Der Propeller surrt und brummt, aber ein weiteres Geräusch mischt sich ein… laute Flügelschläge. Dann, Großaufnahme der kleinen Maus. Sie guckt hinter sich. Unter ihrer Fliegerbrille reißt sie die kleinen schwarzen Augen erschreckt auf. Schnitt. Hinter dem Flugzeug erscheint bedrohlich die Silhouette eines riesigen Vogels. Schnitt. Im Inneren des Cockpits löst die Maus panisch die Bremsen. Schnitt. Das Flugzeug macht einen Satz nach vorne und rast auf die Kante zu. Schnitt. Die Augen der heranrasenden Eule funkeln. In ihnen spiegelt sich schon das kleine Flugzeug…
Es lässt sich so viel Spannung durch das Miteinander von Bild, Filmschnitt und Musik erzeugen und es würde mich freuen, wenn vielleicht irgendwann „Lindbergh“ auch zu filmischen Ehren kommen würde.
„Ein Großteil des Lindbergh-Textes ist in den Waggons der Nord-Ostsee-Bahn zwischen Hamburg und Westerland entstanden.“
Buchhexe: Wo und wann kommen Ihnen die besten Ideen?
Torben Kuhlmann: Ideen kommen immer plötzlich und unerwartet. Leider lassen sie sich auch nur selten erzwingen. Allerdings habe ich in den letzten Jahren sich bewährende Inspirationsausflüge entwickelt. Von Hamburg aus ist man mit dem Zug schnell am Meer und nichts befreit die Gedanken mehr als eine lange Wanderung am Meer. Und auch die Zugfahrt dorthin lässt sich schon nutzen. Ein Großteil des Lindbergh-Textes ist in den Waggons der Nord-Ostsee-Bahn zwischen Hamburg und Westerland entstanden.
„Nichts begeistert mich mehr, als ‚eigene Welten‘ entstehen zu lassen und es ist auch genau das, was mich bei anderen Werken am meisten fesselt.“
Buchhexe: Welche Autoren / Illustratoren schätzen Sie besonders bzw. welche haben Ihre Arbeit beeinflusst?
Torben Kuhlmann: Die Frage nach meinen Einflüssen ist gar nicht so einfach zu beantworten. Sicherlich sind da ein paar Künstler und Illustratoren zu nennen, vor allem die Amerikaner John Singer Sergant (als großes Aquarellvorbild) und Norman Rockwell. Unter meinen Lieblingsbüchern finden sich viele englischsprachige Klassiker, von Charles Dickens bis Bram Stoker. Als größten Einfluss auf meine Arbeit ist aber sicherlich das Medium Film zu nennen: Das fantasiereiche Hollywood der 1980er, viele Regisseure mit starker Bildsprache und Cinematographie (wie zum Beispiel die Coen Brüder) und die Animationsfilme des japanischen Studios Ghibli. Nichts begeistert mich mehr, als „eigene Welten“ entstehen zu lassen und es ist auch genau das, was mich bei anderen Werken am meisten fesselt. Ich bin ein großer „Making Of“ Freund. Skizzensammlungen, Ideen und Entwürfe, die dann zu etwas Größerem werden – einem Bilderbuch oder einem Film – finde ich endlos inspirierend.
Buchhexe: Wenn Sie nicht eigene Welten entstehen lassen, in welche Welt würden Sie gerne einmal reisen?
Torben Kuhlmann: Oh, meinen Sie hier eine reale oder eine fiktionale Welt? Ich würde gerne – wenn das möglich wäre – einmal Urlaub in verschiedenen Science-Fiction-Welten machen, zum Beispiel in denen von Jules Verne. In der Realität locken mich „rauhe“ Landschaften: Schottland, Schweden, Neuseeland, Kanada oder das ewige Eis der Arktis.
Buchhexe: Als Rezensent darf ich mich natürlich, solange es die Zeit hergibt, mit vielen Büchern beschäftigen. Vielleicht ist es als Künstler besser, nicht zu viel anderes zu sehen? Lesen Sie andere Bilderbücher und haben Sie ein Lieblingsbuch?
Torben Kuhlmann: Ich kann mich fabelhaft von anderen Bilderbüchern inspirieren lassen. Häufig sind es Bücher, die einen völlig anderen Stil haben, zum Beispiel die Hut-Bücher von Jon Klassen. Ich kann mich an gut gestalteten Büchern sehr erfreuen. Manchmal braucht es dazu nur eine pfiffige Typografie oder ähnliche Details. Es ist dann nicht so, dass man irgendetwas nachmachen möchte. Vielmehr ist man inspiriert und motiviert, selber etwas zu schaffen.
Ein neues Lieblingsbuch, das ich erst vor kurzem entdeckt habe, ist der amerikanische Klassiker „The Little Red Lighthouse and the Great Gray Bridge“. „Wo die wilden Kerle wohnen“ finde ich auch großartig.
„Es kann auch düster und traurig sein, solange alles auf ein gutes Ende hinläuft.“
Buchhexe: Was macht für Sie ein gutes Bilderbuch aus?
Torben Kuhlmann: Ich denke, gute Bilderbücher sprechen Kinder und auch Erwachsene auf mehreren Ebenen an. Die grafische Gestaltung ist dabei nur ein Baustein unter vielen. Wenn ich zurückblicke, erinnere ich mich vor allem an die Bücher, die mich als Kind in irgendeiner Weise herausgefordert haben, sei es durch eine gewisse Düsternis oder eher erwachsene Themen. Dies muss gar nicht auf den ersten Blick ersichtlich sein. Ein Beispiel wäre der Klassiker „Wo die wilden Kerle wohnen“. Dies funktioniert wunderbar als geradlinige Geschichte eines träumenden Jungen, der wilde Kerle und freundliche Monster ersinnt. Aber ich hatte schon immer den Eindruck, dass dahinter mehr steckt: Ein erwachseneres Thema. So war jedenfalls mein kindlicher Eindruck und ich fühlte mich als Kind ernst genommen. Ich glaube, das ist es, was viele Bücher zu Klassikern werden ließ. Auch prägten mich eher düstere und unheimliche Passagen in Bilderbüchern. Bilder, vor denen ich als ganz kleiner Junge etwas Angst hatte, haben sich eingeprägt, ich habe mich mit ihnen beschäftigt und mich vielleicht auch mit dem, was mir Angst machte, auseinandergesetzt. Heute erinnere ich mich noch an diese Bilder und sie beeinflussen sogar meine Arbeit. Auch im Zeichentrickfilm sehe ich dieses Phänomen. Ich meine, es war der amerikanische Zeichentrickfilmer Don Bluth, dessen Credo es war, dass eine Kindergeschichte ein Kind nicht ausnahmslos in Watte packen müsse. Es kann auch düster und traurig sein, solange alles auf ein gutes Ende hinläuft. Das findet man auch in vielen frühen Disney-Filmen. Hier sei nur das Schicksal von Bambis Mutter zu nennen. Wenn also auch ein Bilderbuch durch seine Geschichte, seine Bildsprache und Themen ein Kind ernst nimmt und es dazu einlädt, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, ist das ein wunderbarer Erfolg. Ich finde, das ist das Wunderbare am Geschichtenerzählen! Und ich hoffe, dass es in vielen Jahren auch Leute gibt, die sich auf diese Weise an die Geschichte einer fliegenden Maus zurückerinnern.
Buchhexe: An welchem Ort arbeiten Sie am liebsten? Gibt es so etwas wie ein Atelier?
Torben Kuhlmann: Das ist noch eine Baustelle in meinem Leben. Zurzeit habe ich nur eine kleine Arbeitsecke in meiner Wohnung. Auf Dauer wird das aber zu eng. Außerdem ist es nicht gut, wenn Arbeit und Privates räumlich überhaupt nicht voneinander getrennt sind. Auf Dauer wünsche ich mir einen geräumigen Atelierplatz irgendwo in Hamburg.
Buchhexe: Gibt es eine bestimmte Jahreszeit, in der sie gerne malen, und eine bestimmte Tageszeit oder Wochentage?
Torben Kuhlmann: Als Aquarellmaler brauche ich Licht, deshalb macht mir der Winter mit seiner ausufernden Dunkelheit in dieser Beziehung etwas zu schaffen. Zwar besitze ich eine Tageslichtlampe, die sorgt aber leider nicht für stimmungserhellenden Sonnenschein vor meinem Fenster. Abgesehen davon, dass mir die Tage zu kurz sind, mag ich allerdings den Winter mit seinen Eigenheiten, ebenso kann ich allen anderen Jahreszeiten viel abgewinnen. Am besten Arbeiten lässt es sich aber im frühen oder späten Sommer: Viel Licht, nicht allzu heiß und die längere Helligkeit erlaubt noch abendliche Fahrradtouren oder Treffen mit Freunden.
„Musik ist ohnehin ein wichtiger Bestandteil meines Lebens.“
Buchhexe: Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade zeichnen oder Geschichten schreiben?
Torben Kuhlmann: Wenn ich mal nicht illustriere, versuche ich so oft wie möglich lange Wanderungen am Meer zu unternehmen oder weite Fahrradtouren rund um Hamburg. Ich verbringe aber auch gerne Zeit am Klavier – oder hier in Hamburg an dem etwas kleineren Keyboard. Musik ist ohnehin ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Ich bin gerne über meine Lieblingsgenres in der Musik auf dem Laufenden.
Familie und Freunde haben bei mir auch höchste Priorität.
„Ich hoffe, dass ich irgendwann auf eine ganze Bibliothek an von mir illustrierten Büchern zurückblicken kann.“
Buchhexe: Sie illustrieren auch für National Geographic oder Stern und arbeiten für eine Werbeagentur. Lindbergh ist ihr erstes Bilderbuch. Wo sehen Sie Ihre Zukunft? Können Sie sich auch vorstellen, Werke anderer Autoren zu illustrieren?
Torben Kuhlmann: Auf lange Sicht würde ich natürlich gerne mehr und mehr „eigene“ Projekte machen. Die sehr positive Erfahrung mit Lindbergh ist dabei ein großer Motivator. Ich mag aber auch den Mix an verschiedenen Aufgaben, die mir immer wieder gegeben werden. Es ist sehr interessant, sich für eine eher wissenschaftliche Illustration oder historische Rekonstruktion in ein Thema einzuarbeiten und kurzfristig ein Fachmann für etwas zu werden. Knappe Abgabetermine und viel Aufwand fordern eine kurze Hochdruck-Arbeitsphase. In der Folgewoche kommt dann wieder etwas völlig anderes. Und eine permanente Konstante könnten Bilderbücher sein. Ich hoffe, dass ich irgendwann auf eine ganze Bibliothek an von mir illustrierten Büchern zurückblicken kann. Ich kann mir aber ebenso vorstellen, Klassiker zu illustrieren oder mit einem gut korrespondierenden Autor zusammenzuarbeiten.
Buchhexe: Was können wir 2014 von Ihnen erwarten, was erwarten Sie sich von diesem Jahr? Woran arbeiten Sie gerade – sofern Sie das schon verraten dürfen?
Torben Kuhlmann: Lindbergh ist der „Große Brocken“ in diesem Jahr. Zunächst erfolgt die Veröffentlichung im Januar hier in Deutschland und im Mai dann in den USA. Weitere Ideen und Projekte sind teilweise noch in der ersten Konzeptionsphase. Ich hoffe aber, dass der Lindbergh-Zug mich mitreißt und vielleicht auch schon 2014 viele neue Sachen dazukommen. Ich möchte auch wieder mehr unterwegs zeichnen und größere Landschaftsbilder und Stadtansichten malen. Für den Lindbergh-Release bin ich Ende Mai in den Vereinigten Staaten und bringe hoffentlich viele Bildideen und Inspirationen hierfür mit.
Es ist immer etwas Besonderes, einen Illustrator oder Autor, den man besonders schätzt, interviewen und ihn von Anfang an begleiten zu dürfen. Für viele, die ich bewundere oder entdecke, bin ich zu spät geboren worden. Bei Torben Kuhlmann, der erst am Anfang einer hoffentlich von Erfolgen gekrönten Laufbahn steht, ist dies glücklicherweise anders. So freuen wir uns auf weitere Bücher von ihm, sind gespannt darauf, wie es mit „Lindbergh“ weitergeht, und danken ihm vielmals für die Zeit, die er der Buchhexe geschenkt hat und die wunderschönen Buchhexen, die er uns gezeichnet hat!