Der Dingsda aus Dingenskirchen

Die großen und kleinen Gedächtnislücken ab 40

Autoren
Übersetzer
Christoph Trunk
Verlag
Kreuz Verlag
Anspruch
4 von 5
Humor
4 von 5
Lesespaß
4 von 5
Schreibstil
3 von 5
Spannung
3 von 5

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Zusammenfassung zu “Der Dingsda aus Dingenskirchen”

Dieses Buch ist die Chronik einer Erkundungsreise. Die Autorin, eine amerikanische Wissenschaftsjournalistin, macht sich auf die Suche nach den Wurzeln ihrer zunehmenden Vergesslichkeit und nachlassenden kognitiven Leistungsfähigkeit. Sie will das Schwinden ihres scharfen Verstandes und ihrer spitzen Zunge nicht hinnehmen. Und sie nimmt den Leser dabei mit. Zunächst einmal zu einer Vielzahl modernster neurobiologischer Untersuchungen quer durch die amerikanische Universitätslandschaft. Diese Selbstversuche, die ausführlich beschrieben werden, fördern immerhin zutage, dass Frau Ramin unter Prosopagnostie leidet, das ist die Schwäche, sich Gesichter zu merken. Viele der Modellversuche, die die Autorin unternimmt und die zumeist auf neuesten Verfahren basieren, zielen darauf ab, Alzheimer auszuschließen. Das hat zur Folge, dass der Leser in diesem Buch grundlegend und wahrscheinlich sehr fundiert über neue (und altbekannte) Methoden zur Früherkennung und Behandlung von Alzheimer informiert wird, die Krankheit, die ja in naheliegender Weise vermutet und befürchtet wird, wenn es um das Thema Vergesslichkeit geht.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf Maßnahmen zur medikamentösen Behandlung nachlassender geistiger Fähigkeiten. Ausführlich werden Studien zum zunehmenden Medikamentengebrauch vorgestellt und auch die Autorin wird sich am Ende für ein Medikament entschieden haben, wenngleich sie dieses auch nur zeitweise benutzt. Interessant sind zweifelsohne die Ausführungen zur Östrogentherapie bei Frauen, hier weicht die Journalistin von der herrschenden Meinung ab, indem sie vorschlägt, dem Gedächtnis zuliebe doch lieber zu einer Therapie in den Wechseljahren zu greifen. Auch hierzu werden Forschungsergebnisse präsentiert.

Nachdem alles auf Gründlichste untersucht wurde – bei der Autorin handelt es sich wahrscheinlich nicht um Alzheimer, sondern um wiederholte Hirntraumata und eine Schilddrüsenfehlfunktion als Quelle für die Vergesslichkeit – werden die guten Nachrichten verkündet. Zuerst: Wenn Alzheimer sehr früh entdeckt wird (was mit den bisherigen Standardverfahren nicht geht), kann der Krankheitsausbruch hinausgezögert werden. Zum Zweiten: Durch Ausbauen großer kognitiver Reserven lässt sich der Alzheimerverlauf abschwächen. Und zum Dritten: Mit viel Schlaf, aerober Bewegung, einem Fitnessprogramm für den Geist und das Hirn und reichlich sozialen Kontakten (eventuell noch hier und da um ein Pharmaprodukt angereicht) lässt sich auch die alterungsbedingte Demenz ein Stück weit verhindern – so lautet zumindest das Ergebnis der mehr als dreijährigen Recherchen der Autorin.

Zitate

„Unter günstigen Umständen können die Frontallappen eines Menschen im mittleren Alter, wenn auch mit einiger Mühe, Schritt halten. Falls er allerdings in einer Epoche technologischer Umwälzungen lebt, stehen die Zeichen auf Überforderung. Die Evolution hat uns die durchaus zweckmäßige Tendenz mitgegeben, die Aufmerksamkeit auf Ereignisse zu konzentrieren, die unser Überleben gefährden könnten. Dagegen ist unser Gehirn nicht dafür ausgelegt, mit einer unaufhaltsamen Schwemme von Daten zurechtzukommen, die kunterbunt und ungefiltert auf uns eindringen und oft keine Kontextbezüge und keine klare hierarchische Ordnung erkennen lassen. Unsere Stirnlappen sind unzureichend für diese Überflutung gerüstet, so dass wir uns überfordert und ohnmächtig fühlen….Bei Überlastung der Frontallappen kommen die höheren Denkprozesse zum Erliegen. Wir mobilisieren einen starken Wahrnehmungsfilter und beginnen viele Dinge
auszublenden, bei denen sich im Nachhinein manchmal herausstellt, dass wir sie besser hätten beachten sollen.“

„Wie wir gesehen haben, können geistige Anregung und körperliche Aktivität viel zum Aufbau kognitiver Reserven beitragen. Genauso wichtig ist aber die dritte Komponente, der lebendige Kontakt mit anderen Menschen. In der sozialen Interaktion sind Arbeitsgedächtnis, Verarbeitungsgeschwindigkeit, sprachliches Geschick und viele andere kognitive Fähigkeiten gefordert. Sämtliche Sinne werden angesprochen – Sehen, Hören, Berühren und auch Riechen.“

„Als er das sagte, schaute ich ihn aufmerksam an. Das waren keine Ausreden. Matthew war ein blitzgescheiter Mensch. Mit seinen bemerkenswerten kognitiven Fähigkeiten hatte er fast vier Jahrzehnte lang viel Geld verdient. Anders als manche Gleichaltrige verdrängte er keineswegs, dass er nicht mehr so scharfsinnig und fix wie früher war. Es brachte ihn nicht aus der Fassung. In seinen Augen war das einfach eine Bewegung im Auf und Ab des Lebens. Er und seine Frau genossen es, dass ihr Leben überschaubarer wurde. Die Kinder waren erwachsen und aus dem Haus. Die hektischen mittleren Jahre näherten sich dem Ende. Es bestand keine Notwendigkeit mehr, die Aufmerksamkeit auf tausend Dinge aufzusplittern. Sie steuerten freilich nicht auf einen Lebensabend im Golfclub zu. Matt überlegte, bei welchen von mehreren Non-Profit-Organisationen er im Vorstand mitarbeiten könnte….Wann würde ich selbst wohl endlich aufhören, dem nachzutrauern, was ich verloren hatte, und mich stattdessen an dem freuen, was mir das Älterwerden an positiven Dingen bescherte.“

Persönliche Bewertung

Zunehmende Vergesslichkeit ist nicht banal! Die gute Nachricht: Man kann vorbeugen.

4 von 5

Dieses Buch ist ein Zwitter. Zum einen ein Sachbuch, dass viel Wissenschaft zum Thema Gedächtnis, Gehirn, Alzheimer, Ernährung, Neuronen, Stirnlappen, Frontallappen und Hormone enthält, zum anderen aber zugleich der Bericht einer vom alt- und vor allem vom vergesslich werden Betroffenen. So weiß der Leser dann auch leider an keiner Stelle so genau, wie kompetent Frau Ramin auf den Gebieten, über die sie schreibt, tatsächlich ist. Daher ist ein gewisses Maß an Vorsicht beim Genuss der Lektüre geboten. Das Quellenverzeichnis lässt zumindest darauf schließen, dass ernsthaft versucht wurde, den Stand der Forschung zum Thema Vergesslichkeit im mittleren Lebensalter zusammenzufassen. Das ist aber nur eine Seite dieses recht interessanten Werkes. Denn, egal wie man die Kompetenz, oder gar das Loblied auf die Psychopharmaka bewerten mag, das häufig angestimmt wird, so hat die Autorin sicher recht damit, die alterstypische Vergesslichkeit aus ihrer Schäm-Ecke hervorzuholen und sie zu thematisieren. Sie macht Mut, sich zur Lücke zu bekennen. Darüber zu reden, dass wir ab einem gewissen Alter nicht mehr so gut funktionieren, wie mit Anfang dreißig. Und schlussendlich macht sie Mut, die Herausforderung ‚Altwerden‘ anzunehmen, und nicht schon im Vorfeld, bei den ersten Gedächtnisstörungen, das Handtuch zu werfen. Denn wie es aussieht, wird die Generation der jetzigen Mittvierziger es sich nicht leisten können, im Alter wirklich abzubauen.

Fazit

Zunehmende Vergesslichkeit ist nicht banal, sondern ein ernstzunehmender Vorbote für folgenschwere Demenz im Alter! Die gute Nachricht: Man kann vorbeugen.

Originaltitel
Craved in Sand. When Attentation Fails and Memory Fades in Midlife
ISBN10
3783131103
ISBN13
9783783131109
Dt. Erstveröffentlichung
2008
Gebundene Ausgabe
319 Seiten